Die Feuer von Troia
Platten mit allen möglichen Gerichten herbei: gebratenes Fleisch und Geflügel in verschiedenen köstlichen Soßen, in Honig eingelegte Früchte und vielerlei Süßigkeiten von so unterschiedlichem Geschmack, daß Kassandra nicht erriet, woraus sie gemacht waren.
Sie hatte so lange gehungert, daß ihr von dem vielen Essen leicht übel wurde; sie aß sehr wenig von dem gebratenen Geflügel, etwas von dem harten Brot und versuchte dann auf Drängen der Königin einen würzigen Honigkuchen mit Zimt. Ihr fiel auf, daß Penthesilea ebenfalls wenig aß. Als die Platten wieder weggetragen worden waren und man ihnen Rosenwasser über die Hände goß, sagte die Königin von Kolchis: »Base, ich dachte, Hekabe hätte ihre Zeit als Kriegerin längst vergessen. Und doch reitet ihre Tochter mit deinem Stamm? Ich habe keinen Streit mit Priamos von Troia. Sie ist mir willkommen. Ist sie die Tochter, die Achilleus heiraten soll?«
»Nein, davon habe ich nichts gehört«, sagte Penthesilea. »Ich glaube, wenn Priamos versucht, für sie einen Gemahl zu finden, wird er feststellen, daß die Götter sie für sich beanspruchen.«
»Dann soll vielleicht eine ihrer Schwestern Achilleus heiraten«, sagte Imandra leichthin. »Wenn wir in Kolchis einen König brauchen, werde ich vielleicht meine Tochter mit einem von Priamos’ Söhnen verheiraten. Ich habe eine Tochter im heiratsfähigen Alter. Ist dein ältester Bruder schon versprochen?«
Kassandra erwiderte schüchtern: »Davon weiß ich nichts, Herrin. Aber mein Vater weiht mich nicht in seine Pläne ein. Er kann durchaus eine solche Absprache schon vor vielen Jahren getroffen haben, ohne daß ich es erfahren hätte.«
»Eine ehrliche Antwort«, sagte Imandra. »Wenn du nach Troia zurückkehrst, sollen meine Boten dich begleiten, um meine Andromache dem Sohn deines Vaters anzubieten - wenn nicht dem ältesten, dann einem anderen. Ich glaube, er hat fünfzig, und einige davon sind Söhne deiner königlichen Mutter. So ist es doch?«
»Ich glaube, fünfzig sind es nicht«, erwiderte Kassandra. »Aber er hat viele Söhne.«
»So sei es«, sagte Imandra und reichte Kassandra die Hand. Die Schlange um ihre Hüfte regte sich; sie kroch auf Imandras Arm, und als Kassandra die Hand ausstreckte, schob die Schlange den breiten Kopf vor und ringelte sich wie ein geschmeidiges Armband um Kassandras Handgelenk.
»Sie mag dich«, sagte Imandra. »Hat man dich gelehrt, mit Schlangen umzugehen?«
Kassandra dachte an die Schlangen im Tempel des Sonnengottes und sagte: »Sie sind mir nicht fremd.«
»Sei vorsichtig! Wenn sie dich beißen sollte, wirst du sehr krank«, sagte Imandra. Kassandra hatte keine Angst; ein Hochgefühl erfaßte sie, als die Schlange sich um ihren Arm ringelte, und sie empfand die weichen trockenen Schuppen, die über ihre Haut glitten, als ausgesprochen angenehm.
»Nun wollen wir über eine ernste Sache sprechen«, sagte Imandra. »Hast du die Schiffe im Hafen gesehen, Penthesilea?
»Wie könnte man sie übersehen? Es sind so viele.«
»Sie sind mit Zinn und Eisen aus dem Norden beladen, aus dem Land der Hyperboreer«, sagte. Imandra, »und natürlich wollen die anderen Könige diese Erze. Sie behaupten, ich verkaufe ihnen nicht genügend Zinn für ihre Bronze, und sie sagen, ich fürchte die Waffen, die sie daraus schmieden. In Wahrheit habe ich aber kaum genug für mich, und sie können mir nichts anbieten, was ich brauche. Deshalb sind sie dazu übergegangen, meine Zinnkarawanen zu überfallen und sich das Zinn ohne Bezahlung zu nehmen. Wir haben in der Stadt zu wenige ausgebildete Kriegerinnen. Welchen Preis verlangst du dafür, daß deine Kriegerinnen meine Metalltransporte schützen?«
Penthesilea hob die Augenbrauen. »Ich glaube, es wäre einfacher - und billiger -, ihnen soviel zu verkaufen, wie sie wollen.«
»Damit sie gegen mich rüsten? Es ist besser, wenn meine Schmiedinnen die Waffen herstellen, und sie sollen mir die Waffen, die sie haben wollen, mit Gold bezahlen. Ich habe Zinn, Blei und auch etwas Eisen in den Süden zu den Königen der Hethiter geschickt - denen, die noch übriggeblieben sind. Auch diese Karawanen sind überfallen und ausgeraubt worden. Penthesilea, auch ihr, du und deine Frauen, könnt dabei Gold bekommen, wenn ihr wollt.«
»Ich kann deine Karawanen schützen«, sagte Penthesilea. »Aber der Preis wird nicht gering sein. Meine Frauen sind hierher gezogen, weil die Göttin es so wollte, und sie drängen sich nicht nach Krieg.
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