Die Feuer von Troia
könnte.«
Kassandra fragte: »Warum kannst du deine Söhne nicht zu Schmieden machen?«
Die kleine muskulöse Frau sah sie stirnrunzelnd an.
»Ich dachte, die Frauen der Amazonenstämme würden das verstehen«, erwiderte sie. »Ihr zieht eure Söhne nicht einmal groß, weil ihr wißt, wie nutzlos sie sind. Siehst du, Mädchen, das Metall wird der Erdmutter aus dem Leib gerissen. Stell dir IHREN Zorn vor, wenn ein Mann es wagen sollte, Hand an IHRE Gaben zu legen. Es ist die Aufgabe der, Frauen, es in Formen zu bringen, die für die Menschen von Nutzen sind. Ein Mann darf kein Schmied werden, denn das würde die Erdmutter nie vergeben.«
Kassandra dachte: Wenn die Göttin nicht will, daß diese Frau ihre Söhne das Handwerk lehrt, warum schenkt Sie ihr dann keine Töchter? Aber inzwischen hatte sie gelernt, nicht jeden Gedanken auszusprechen, der ihr durch den Kopf ging. Sie murmelte: »Vielleicht wirst du noch eine Tochter bekommen.«
Aber die Schmiedin erwiderte mißmutig: »Was? Ich soll noch einmal das Wagnis einer Geburt auf mich nehmen, obwohl ich schon beinahe vierzig Winter lebe?« Kassandra schwieg. Sie trieb ihr Pferd an und ritt wieder neben Stern. Ihre ältere Freundin säuberte sich mit einem kleinen Knochenmesser die Fingernägel.
»Glaubst du wirklich, wir werden kämpfen müssen?«
»Die Herrin glaubt es, und sie versteht mehr davon als ich.«
Kassandra hatte wieder nur eine ungnädige Antwort bekommen und überließ sich ihren Gedanken. Sie zog sich den dicken Mantel enger um die Schultern und dachte über den Kampf nach. Seit sie bei den Amazonen lebte, hatte sie jeden Tag Bogenschießen üben müssen, und sie konnte bereits mit dem Speer, ja sogar mit dem Schwert kämpfen. Ihr ältester Bruder Hektor war zum Krieger erzogen worden, seit er ein Schwert in der Hand halten konnte. Als Siebenjähriger hatte er seine erste Rüstung bekommen. Auch ihre Mutter war eine Kriegerin gewesen; aber in Troia wäre niemand auf den Gedanken gekommen, Kassandra oder ihre Schwester Polyxena sollten lernen, mit Waffen umzugehen oder etwas vom Krieg zu verstehen. Wie alle Kinder von Priamos war sie mit Geschichten von Helden und Heldentaten aufgewachsen; aber manchmal dachte sie, Krieg sei etwas Scheußliches, und es sei besser, wenn sie nichts damit zu tun hatte. Wenn der Krieg für Frauen etwas zu Schlechtes war, warum sollte er dann für Männer etwas Gutes sein? Und wenn der Krieg für Männer etwas Großartiges und Ehrenvolles war, warum sollte es dann für Frauen falsch sein, an der Ehre und dem Ruhm teilhaben zu wollen?
Kassandra fand auf diese verwirrenden Fragen nur eine Antwort, die ihr Hekabes Feststellung lieferte: Es ist nicht Brauch .
Aber warum nicht? hatte sie gefragt, und ihre Mutter hatte darauf nur erwidert: Für einen Brauch gibt es keinen Grund. Es gibt ihn einfach . Kassandra glaubte das jetzt ebensowenig wie damals.
Sie richtete den Blick nach innen und stellte fest, daß sie nach ihrem Zwillingsbruder suchte. Troia und die sonnigen Hänge des Ida schienen sehr fern zu sein. Sie dachte an den Tag, als Oenone zu ihm gekommen war, und an die seltsamen leidenschaftlichen Gefühle, die die Vereinigung der beiden in ihr geweckt hatte. Sie fragte sich, wo er jetzt war und was er wohl tat.
Aber es gelang ihr nur, einen flüchtigen bedeutungslosen Blick auf die Schafe und Ziegen zu werfen, die an den Hängen weideten; sonst sah sie nichts. Sie dachte: Normalerweise reisen die Männer, und die Frauen bleiben zu Hause; aber ich bin in weiter Ferne, und nein Bruder ist an den Hängen des heiligen Bergs. Nun ja, warum soll es nicht auch einmal so sein?
Würde sie vielleicht als eine Heldin kämpfen, und Hektor oder Paris würden keine Helden werden?
Aber nichts geschah; die Wagen rollten langsam weiter, und die Amazonen ritten hinter und neben ihnen her.
Als der frühe Sonnenuntergang des Winters aus den Schatten lange schroffe und tanzende Formen machte, bildeten die Amazonen einen engen Kreis um die Wagen und schlugen das Lager auf. Penthesilea sprach aus, was alle dachten:
»Wenn die Karawane so gut bewacht ist, werden sie vielleicht nicht angreifen. Vielleicht wird es für uns nur eine lange beschwerliche Reise, auf der nichts geschieht.«
»Wäre das nicht das beste, das geschehen kann? Sie greifen uns nicht an, und die Karawane erreicht friedlich ihr Ziel«, sagte eine der Frauen, »wäre dann die Sache nicht ohne Krieg geregelt…?« »Überhaupt nichts wäre geregelt.
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