Die Feuer von Troia
nichts ungetan ließ, um ein richtiges Fest daraus zu machen. Er ließ aus den Kellern den besten Wein bringen, und Hekabe ging in die Küche, um das abendliche Mal mit besonderen Leckereien enden zu lassen: Früchte, Honigwaben, alle erdenklichen Süßigkeiten. Musikanten, Jongleure und Akrobaten wurden zur Unterhaltung herbeigeholt.
Eine Priesterin aus dem Tempel der Pallas Athene überwachte die Opfer, die ein unverzichtbarer Bestandteil einer königlichen Hochzeit waren. Kassandra stand dicht neben Andromache, die, als es wirklich soweit war, blaß und ängstlich wirkte - oder vielleicht, dachte Kassandra mit einer Ironie, die sie selbst überraschte - ist das Andromaches Vorstellung davon, wie eine sittsame, anständige Frau sich am Tag ihrer Hochzeit verhalten sollte.
Als sie zusammen im Hof standen und ernst zusahen, wie die Opfertiere herbeigeführt wurden, beugte sich Andromache zu Kassandra und flüsterte: »Ich könnte mir denken, die Götter hatten bereits genug Opfer an diesem Tag. Glaubst du nicht auch, daß es SIE langweilt, ständig mitansehen zu müssen, wie die Menschen Tiere für sie töten? Ich fände an einem Schlachthaus nichts Unterhaltsames.« Kassandra mußte ein Lachen unterdrücken, denn das hätte Anstoß erregt. Aber Andromache hatte recht: Bei den Spielen hatte es schon viele Opfer gegeben. Das junge Paar stand nebeneinander; ihre Hände schlossen sich gemeinsam um das Opfermesser, und Hektor beugte sich zu Andromache hinunter und flüsterte ihr etwas zu. Sie schüttelte den Kopf, aber er ließ nicht locker, und schließlich führte ihre Hand ohne Zögern das Messer, das der weißen Färse die Kehle durchschnitt. Kassandra hatte seit dem frühen Morgen nichts gegessen, und sie empfand den Duft des bratenden Fleischs wie Ambrosia.
Kurz darauf gingen sie in den Palast, und Hekabe schickte Kammerfrauen zu Andromache und Kassandra, die sie für das Fest ankleideten. Sie befanden sich in einem Raum, den Kassandra mit Polyxena geteilt hatte, als sie noch klein waren; aber inzwischen war er kein einfaches Kinderzimmer mehr. Man hatte die Wände nach kretischem Vorbild mit Meereswesen bemalt, mit seltsam gewundenen Tintenfischen und Kraken mit langen Tentakeln, die sie um Büschel von Seetang schlangen, und mit Meerjungfrauen und Sirenen. Auf den geschnitzten Holztischen standen Schminkgefäße und Duftflaschen aus blauem Glas in Form von Fischen und Nymphen. An den Fenstern hingen Vorhänge aus grüngefärbter ägyptischer Baumwolle. Es entstand der Eindruck, daß die schrägen Sonnenstrahlen, die auf sie fielen, Wellen trafen, und im Raum verbreitete sich ein eigenartiges Licht wie unter Wasser.
Man hatte die Geschenke aus Kolchis entladen und in den Palast gebracht. Andromache suchte in den vielen Kisten nach einem geeigneten Hochzeitsgeschenk für ihren Gemahl. Die Königin ließ Kassandra ein Gewand aus einem feinen, beinahe durchsichtigen ägyptischen Gewebe bringen. Andromache fand in ihren Truhen ein langes Seidengewand aus so dünner Seide, daß man das Gewand durch einen Ring hätte ziehen können. Es war mit dem kostbaren Rot aus Tyros gefärbt.
Die Königin schickte außerdem ihre eigenen Kammerfrauen, die heißes Wasser in Zuber füllten und die beiden Mädchen badeten und mit duftenden Ölen einrieben. Ihre Haare wurden mit heißen Zangen gelockt; danach mußten sie Platz nehmen und wurden geschminkt. Die rote Lippensalbe roch nach frischen Äpfeln und Honig. Mit Kohle aus Ägypten zog man ihnen die Brauen nach und die Augenränder. Auf die Lider wurde eine blaue Paste gelegt, die aus staubfein zerstoßener Kreide zu sein schien, aber wie das feinste Olivenöl roch. Andromache ließ alles über sich ergehen, als sei sie ihr Leben lang nichts anderes gewöhnt. Aber Kassandra machte spöttische Bemerkungen, aus denen ihr Unbehagen sprach, während die Frauen sich um sie bemühten.
»Wenn ich Hörner hätte, würdet ihr sie mir sicher vergolden«, sagte sie. »Bin ich ein Gast oder eines der Opfertiere.«
»Die Königin hat es so angeordnet, Herrin«, erklärte eine der Kammerfrauen. Kassandra vermutete, daß Hekabe es befohlen hatte, damit die Prinzessin aus Kolchis den Eindruck bekam, daß es in Troia nicht weniger Luxus gab als in ihrer fernen Heimat.
Die Kammerfrau fügte hinzu: »Sie hat befohlen, daß du nicht weniger schön sein sollst als sie, und das ist richtig so, denn das alte Lied sagt, jede Frau ist in ihrem Hochzeitswagen eine Königin. Und die Herrin Polyxena
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