Die Feuer von Troia
prächtigen, wiedergefundenen Sohn ein Leid geschieht. «
Kassandra erschauerte. Priamos verachtete Prophezeiungen und hatte gerade selbst eine ausgesprochen.
Er lächelte Paris wohlwollend zu, der auf Hekabes anderer Seite saß, die seine Hand fest umklammerte. Auf dem Gesicht der Königin lag ein Lächeln, und Kassandra durchzuckte ein stechender Schmerz; das Auftauchen von Paris bedeutete, daß sie von ihrer Mutter nicht mehr erwarten konnte als die Begrüßung, die sie ihr hatte bereits zuteil werden lassen. Sie wurde traurig, und das Herz tat ihr weh. Aber sie sagte sich, daß Penthesilea zu ihrer wahren Mutter geworden war, und bei den Amazonen war eine Tochter nützlich und willkommen, während man hier in Troia bei einer Tochter immer nur daran dachte, daß sie kein Sohn war.
Priamos forderte Andromache jedesmal zum Trinken auf, wenn der Becher kreiste und vergaß völlig, daß ein junges Mädchen wie sie normalerweise nicht soviel trinken durfte oder sollte. Kassandra sah, daß ihre Freundin bereits leicht betrunken und benommen war. Vielleicht ist es ganz gut so, dachte sie, denn wenn das Fest zu Ende ist, schickt man sie unvorbereitet in das Bett meines Bruders Hektor. Auch er ist ziemlich betrunken.
Plötzlich war sie froh, daß Andromache nicht Paris heiratete, wie ihr Vater es gewollt hatte. Bei dem Band, das zwischen ihnen bestand, hätte sie vermutlich nicht vermeiden können, den Vollzug der Ehe mitzuerleben. Bei diesem Gedanken wurde ihr abwechselnd heiß und kalt. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wo war Oenone? Warum hatte Paris sie nicht aufgefordert, als seine Gemahlin an der Hochzeit teilzunehmen?
Vielleicht ließ Hektor nicht locker, weil er zuviel getrunken hatte. »Mein Vater, du hast beschlossen, unseren Bruder zu ehren. Möchtest du nicht in Betracht ziehen, daß man ihm erlauben sollte, die Ehre zu verdienen, die du ihm schenkst? Ich bitte dich, schicke ihn wenigstens mit einer Aufgabe zu den Achaiern, damit die böse Prophezeiung, wenn sie immer noch gilt, sie trifft. «
»Ein guter Gedanke«, murmelte Priamos, der selbst zuviel getrunken hatte. »Aber du möchtest uns doch nicht schon wieder verlassen, Paris, nicht wahr?«
Paris erwiderte höflich, er stehe seinem Vater jederzeit und immer zur Verfügung.
»Er hat uns alle verzaubert«, erklärte Hektor nicht ohne Bosheit. »Warum soll er seinen unwiderstehlichen Zauber nicht an Agamemnon versuchen und ihn überreden, die Herrin Hesione gegen ein Lösegeld freizugeben?«
»Agamemnon?« Paris hob aufmerksam den Kopf. »Ist er nicht der Bruder des Menelaos, der Helena von Sparta geheiratet hat? Und hat er nicht selbst die Schwester der spartanischen Königin zur Gemahlin genommen?«
»So ist es«, bestätigte Hektor. »Als die Achaier mit ihren Streitwagen und Pferden und mit ihrem Donnergott aus dem Norden kamen, nahm Leda, die Herrin von Sparta, einen ihrer Könige zum Gemahl. Und als sie ihm Zwillingstöchter gebar, erzählte man sich, der Donnergott sei der Vater der einen.
Und Helena heiratete Menelaos«, fuhr Hektor fort, »obwohl sie so schön sein soll wie eine Göttin und jeden König von Thessalien bis Kreta zum Gemahl hätte haben können. Wie ich gehört habe, gab es wegen Helenas Wahl viel Streit, und beinahe wäre deshalb ein Krieg ausgebrochen. Du bist nicht häßlich, meine Andromache«, sagte er, kam näher und betrachtete aufmerksam ihr Gesicht. »Aber ich glaube, du bist nicht so schön, daß ich dich einsperren müßte, weil alle Männer mich beneiden und dich umwerben.« Er hob ihr Kinn hoch und blickte auf sie hinunter.
»Mein Gemahl ist sehr freundlich zu seiner bescheidenen Frau«, sagte Andromache mit einem leichten Lächeln, in dem nur Kassandra den Sarkasmus erkannte.
Paris ließ Hektor nicht aus den Augen, was Kassandra nicht entging. Was dachte er? Konnte er eifersüchtig auf Hektor sein, der weder so gut aussah, noch so klug war wie er? Mit einer so schönen Frau wie Oenone konnte er Hektor um Andromache kaum beneiden, nur weil sie eine Prinzessin von Kolchis war. Oder war er eifersüchtig auf Hektor, weil Hektor der Erstgeborene und bekanntermaßen der Lieblingssohn seines Vaters war? Oder war er zornig, weil es Hektor schließlich doch gelungen war, ihn zu beleidigen?
Sie trank langsam von dem Wein in ihrem Becher und überlegte, wie Andromache wirklich über diese Heirat dachte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie überglücklich war, mit diesem groben Hektor verheiratet zu werden,
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