Die Feuerbraut
Helene enttäuscht und leicht verärgert, weil sie es wegen der Hexe versäumt hatte, ihre Bekanntschaft mit Rudolf Steglinger zu vertiefen. Der Heereslieferant ließ sich von seinem Mohren einen weiteren Becher Wein holen und dann ein Stück von dem Braten, der zusammen mit verschiedenen Würsten auf einem großen Rost am Rande des Platzes zubereitet worden war. Helene fand, dass sie und ihre Begleiterinnen ebenfalls eine Stärkung nötig hatten, wollte aber nicht den Kutscher oder dessen Gehilfen losschicken. Stattdessen blickte sie Steglinger erwartungsvoll an.
Dieser bemerkte Helenes Blick und lächelte ihr gönnerhaft zu. »Darf ich behilflich sein? Abdur, besorge Fleisch für die Damen und noch mehr Wein – vom besten natürlich.« Während der Mohr davoneilte, verwickelte Steglinger Helene in ein längeres Gespräch, in das er auch Johanna einband.
Als sein schwarzer Diener zurückkehrte und den drei vor der Kutsche stehenden Frauen mit einer tiefen Verbeugung große Scheiben gerösteten Fleisches und eine Kanne des Weins anbot, den der Händler im Wasser des Baches gekühlt hatte, vermochte Irmela ihren Magen kaum noch zu beherrschen. Der Geruch des Bratens verstärkte ihre Übelkeit, und sie drehte den Kopf weg, als Abdur auch ihr ein Stück hinhielt. Sie konnte nichteinmal von dem Wein trinken, obwohl ihr die Zunge wie ein Stück trockenes Leder im Mund saß.
Johanna bemerkte Irmelas Unwohlsein und verzog angewidert die Lippen. »Das ist dir wohl auf den Magen geschlagen, was? Wenigstens weißt du jetzt, was eine Hexe wie dich erwartet!«
Irmela war zu übel, um darauf antworten zu können, und mit einem Mal stiegen die Ängste wieder in ihr auf, die sie im Haus über dem Strom Tag für Tag bedrängt hatten. Was war, wenn Johanna recht hatte? Mit ihren scharfen Sinnen und der Fähigkeit, mehr Dinge zu erfassen als andere Menschen und manchmal sogar Geschehnisse vorauszusehen, musste sie wohl eine Hexe sein. Obwohl sie niemand je geschadet hatte, überkam sie mit einem Mal die Ahnung, in nicht allzu ferner Zukunft ein ähnliches Schicksal erleiden zu müssen wie die arme alte Frau.
II.
Auf der Rückfahrt unterhielten Irmelas Begleiterinnen sich über jede Einzelheit der Hexenverbrennung. Keine von ihnen hatte nur einen Funken Mitleid mit dem armen Weib, das ein so grausiges Ende gefunden hatte.
»Sie kann keinen Verstand besessen haben«, erklärte Helene lachend. »Was muss sie auch die Leute verfluchen? Das soll sie schon vorher getan haben, und deswegen haben ihre Nachbarn sie angezeigt. Na ja, jetzt sind sie das Miststück los. Gebracht hat es ihnen aber wenig außer dem Segen des Priesters, denn der Alten soll nicht einmal die Hütte gehört haben, in der sie gehaust hat. Der Grundherr hatte ihr aus Gnade und Barmherzigkeit ein Dach über dem Kopf gegeben, nachdem ihr Ehemann, ihr Sohn, die Schwiegertochter und die Enkelkinder an der Seuche gestorben waren. Aber sie hat ihm seine Großzügigkeit gedankt, indemsie ihm die Schweden an den Hals gewünscht hat. Im Gegensatz zu euch, Kinder, war der Mann so dumm, nicht zu fliehen, und so haben ihn die Ungeheuer aus dem Norden an das Eingangstor seines brennenden Hauses genagelt, um ihn zu zwingen, sein Geldversteck zu verraten.«
»Wurde das Weib deswegen verhaftet?«, wollte Johanna wissen.
Helene nickte. »Ja! Als die Hexe ihre Nachbarn beschimpfte, bekamen diese es mit der Angst zu tun, sie würde die Schweden auch auf sie hetzen, und sind zu ihrem Pfarrer gerannt. Von da an war das Weib für den Scheiterhaufen bestimmt. Ich an ihrer Stelle hätte fein säuberlich den Mund gehalten. Es gibt genügend echte Hexen, aber die verbergen ihre Fähigkeiten sorgfältig. Einige von ihnen bewegen sich sogar in den höchsten Kreisen und lassen sich als erlauchtigste Gräfin oder durchlauchtigste Frau Herzogin anreden. Es gibt auch Männer, die über geheimnisvolle Kräfte verfügen. Ich habe jemanden kennengelernt, der hat einer Jungfrau eine hässliche Warze, die direkt auf ihrer Nase wuchs, mit einer Handbewegung und einem einzigen Zauberwort entfernt!«
Ehrentraud sprang so hastig auf, dass sie das Gleichgewicht verlor und gegen Irmela prallte. Ohne sich zu entschuldigen, griff sie nach Helenes Hand und blickte sie flehend an. »Wenn es Leute gibt, die die Macht besitzen, Warzen mit einem Wort zu beseitigen, müssten sie in der Lage sein, meine Narben hinwegzuzaubern. Könnt Ihr mir sagen, wie ich einen Mann oder eine Frau mit diesen Kräften finden
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