Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
mit vierzehn Mann auch mehr Besatzung als eigentlich notwendig. Jeder der Männer war hartgesotten, kampferprobt und von Armin handverlesen. Es war ehemals sein Schiff gewesen, und noch immer war ich mir nicht sicher, ob die Loyalität der Leute nicht doch mehr ihm galt als uns.
Ich reichte dem Kapitän den gut vier Schritt langen Speer. Eine unhandliche Waffe, aber gut dafür geeignet, andere Boote von unserem Schiff fernzuhalten. Deral warf einen letzten drohenden Blick auf das Boot mit den Frauen und Kindern, dem es dann doch noch gelungen war, im letzten Moment auszuweichen, und trat mit dem Speer in der Hand an die Reling. Dort stieß er die Waffe mit überraschender Kraft ins Wasser, und zu meinem Erstaunen blieb sie stecken. Er zog Hand über Hand den Speer wieder heraus und zeigte mir die Spitze. Dort war Lehm und Sand haften geblieben.
»Unter unserem Kiel haben wir im Moment kaum mehr als drei Handbreit Wasser«, erklärte er mir, als er mir den Speer wieder in die Hand drückte. Ein Blick forderte mich auf, das Utensil wieder an die Stelle zu tun, wo es hingehörte. Doch Deral war mit seiner Lektion noch nicht fertig.
»Seht Ihr, da vorn … das leichte Kräuseln im Wasser?« Ich erkannte es zuerst nicht, dann nickte ich. »Dort staut sich das Wasser über einer Erhebung im Flussbett.« Er fixierte das Gekräusel, als wäre es sein persönlicher Feind. »Es sind Sandbänke, Esseri«, erklärte er. »Verräterische Hinterlassenschaften ruchloser Dschinns, die sich einen Spaß daraus machen, ehrbaren Schiffern wie mir das Leben zu erschweren. Jede Nacht kommen sie und schieben die Sandbänke von einem Ort zum anderen, bauen Fallen, leiten die Strömung um und wollen uns dazu verleiten, auf diese Sandbänke aufzulaufen. Wenn das geschieht und wir uns nicht lösen können, wird jemand am Ufer es sehen. Er wird mit einem breiten Grinsen davonreiten, und in der Nacht werden die Flusswölfe kommen, in kleinen flachen Booten, um an uns zu zerren wie an einem waidwunden Tier. Wenn wir auflaufen und nicht loskommen, sterben wir.« Seine blassgrauen Augen glitzerten. »Kleinere Schiffe weichen größeren aus. Das ist Gesetz. Wenn ich jedoch ausweiche und auflaufe, bringe ich uns vielleicht um.« Er sah mit zusammengekniffenen Augen hoch zum Mast und bellte einen Befehl. Ein Tau wurde angezogen, und das Segel bewegte sich kaum merklich.
»Wenn die Wölfe kommen, überlasse ich Euch gern das Töten. Bis dahin erlaubt mir, dafür zu sorgen, dass wir nicht waidwund werden.« Damit wandte er sich von mir ab und ließ mich stehen.
Ich sah ihm halb verblüfft und halb erheitert nach und begab mich dann hoch zum Achterdeck. Hier befand sich die offene Kabine des Rudergängers, die hohen Seitenwände waren hauptsächlich als Schutz gegen Bolzen und Pfeile gedacht. Um es uns bequem zu gestalten, hatte Deral eine Plane über den hintersten Teil spannen lassen, so hatten wir etwas Schatten und zugleich frische Luft. Ein paar Kissen lagen dort und eine Schale mit Datteln; eine Flasche mit gewässertem Wein hing von einem Haken herab. Serafine stand an der Reling und begrüßte mich mit einem scheuen Lächeln.
»Das war eine ordentliche Abfuhr, Havald«, stellte sie fest.
Ich war dankbar dafür, sie lächeln zu sehen. Mir schien es, als hätten Natalyia und sie Freundschaft geschlossen. Kein Wunder, dass ihr Lächeln nicht mehr so strahlend war, wie ich es kannte.
»In der Tat.« Ich deutete auf Deral. »Und sie scheint gerechtfertigt.«
Die Sonne machte uns alle träge, und wir hatten schnell die Angewohnheit der Einheimischen übernommen, in der größten Hitze zu dösen. Unter uns, in der Kabine, schliefen Leandra, Varosch und Zokora. Die Kabine war kein dunkles Loch, sie besaß fast mehr Fenster als Wände, und jedes einzelne von ihnen war offen, damit die Hitze sich nicht staute. Dennoch zog ich es vor, an Deck zu verweilen.
Ich war müde wie ein alter Hund. In der letzten Nacht hatte ich nicht geschlafen, jetzt konnte ich es nicht. Wenn ich die Augen schloss, sah ich Natalyia vor mir. Irgendwann, das wusste ich, würde ich müde genug sein, dass mich selbst dieses Bild nicht mehr wach halten konnte. Jetzt war es noch nicht so weit.
Serafine hatte die dunklen Kleider einer Leibwächterin gegen ein helles Kleid und eine Robe aus Leinen ausgetauscht, im Moment trug sie ihre Haare offen, und ihr Schleier war ausgehängt. Sie – oder besser: Helis – war nicht in jenem Tempel gewesen, der Leandra und Zokora ihre
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