Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
der letzten Nacht. In meinen Ohren klang es etwas bemüht.
»Nein, nicht ganz egal.« Ich suchte seinen Blick. »Die Menschen kommen zu den Priestern, weil sie Hilfe suchen, Führung oder Rat. Nicht immer kann man etwas für sie tun, das sah ich deutlich im Tempel in Kelar. Oft blieb den Priestern dort nicht viel anderes, als Trost zu spenden. Aber auch das ist von Wert.«
»Die Stadt stand unter Belagerung, nicht wahr?«
»Richtig. Es fehlte an allem. Die Priester taten, was sie konnten, doch es gab keine einschläfernden Tränke mehr. Ich hörte die Schreie der Verwundeten, sah die Gesichter der Priester, die einen Verletzten verzweifelt festhielten, während ein anderer die Wunden versorgte. Als ich größer und stärker wurde, half ich dabei.« Ich schaute auf meine Finger. »Wunder habe ich dort keine bemerkt. Keine wundersame Genesung, nur das Wissen und das Handwerk eines Arztes. Ich habe nie ein Wunder gesehen. Dann hielten die Priester der drei Götter eine Augurie ab und befanden, dass jemand, der bereit wäre, durch Soltars Tor zu treten, die Stadt retten könnte.«
»Die Geschichte, die Janos im Gasthof erzählte.«
»Ja.«
Janos und Sieglinde waren nun schon länger unterwegs. Ich fragte mich, wie es ihnen ergangen war. So oder so, es würde noch Wochen dauern, bis wir mehr erfahren konnten. Es war ein weiter Weg vom Hammerkopf nach Illian, und es mochte gut sein, dass das Land bereits in Thalaks Hände gefallen war.
Kelar wurde gerettet, zumindest damals, aber es war nicht mehr als ein Aufschub gewesen. Nachdem die Stadt schließlich doch an ihn gefallen war, hatte der Imperator von Thalak den Befehl gegeben, sie zu schleifen. Nichts wurde am Leben gelassen, weder Mann noch Frau noch Kind noch Hund. Der Boden war gesalzen worden, die Brunnen vergiftet. Ich verdrängte den Gedanken und sprach weiter.
»Priester können den Menschen helfen. Manche sind begnadet, ich habe einen kennengelernt, der seine Gaben dazu einsetzte, den Armen zu helfen. Er war empört darüber, dass der Tempel ihn zu mir schickte.« Ich schaute einem Wasserdrachen zu, wie er gemächlich durch den trüben Gazar glitt; nur eine leichte Welle und die Kuppeln seiner Augen verrieten ihn.
»Ich hingegen habe getötet. Und komme nicht davon los. Ich habe es versucht. Versuchte ein normales Leben zu führen. Irgendwann erlernte ich das Handwerk eines Kunsttischlers. Ich mag es, Dinge mit meinen Händen zu erschaffen oder zu gestalten. Ich bin leidlich gut darin.«
»Ich habe Eure Figuren gesehen. Es ist mehr als nur ein leidliches Talent.«
»Danke.« Ich neigte den Kopf. »Aber mein größtes Talent liegt darin, andere zu Soltar zu führen. Sei es nun Feind oder Freund.« Ich sah ihn eindringlich an. »Bislang ist noch jeder, der mich in einen Kampf begleitet hat, einen frühen Tod gestorben. Diesmal habe ich Soltar angefleht, mich vor allen anderen zu nehmen. Eine Weile sah es sogar so aus, als müsste diesmal niemand sterben.« Ich schaute zu dem Felsen am Ufer. »Eine trügerische Hoffnung. Er ließ es nicht zu. Er hat wohl andere Pläne für mich.«
»Pläne? Habt Ihr mir nicht erklärt, es gäbe keine Vorbestimmung? Dass der Mensch handeln könnte, wie sein Gewissen ihn leitet?«
»Schon«, seufzte ich, »aber man folgt seinem Pfad, weil man ist, wer man ist. Ich liege nicht im Zwist mit meinem Gott, er liegt im Zwist mit mir. Jeder meiner Schritte folgt meinem Willen und ist von mir allein bestimmt. Ich habe die Wahl.« Ich vollführte eine Geste, die Gasalabad umschloss. »Es ist wie beim Shah. Ich schaue, was ich tun kann und welcher Zug der richtige für mich wäre. Dann entscheide ich mich, ihn zu tun oder zu lassen. Aus freiem Willen. Aber was nützt es mir, wenn er schon vorher weiß, welcher Zug das sein wird? Denn wohin ich auch gehe, auch durch meine eigene Wahl, er lässt mir keine Ruhe. Bislang fand sich immer etwas zu tun für Seelenreißer. Doch ich bin des Tötens müde.« Ich sah Varosch direkt in die Augen. »Er weiß es. Er muss es wissen. Wie du sagst, er ist ein Gott. Er muss wissen, wie müde ich bin, wie leid ich es bin, sein Schlachter zu sein. Wäre es nicht gerechter, mich gehen zu lassen?«
Er musterte mich sorgfältig und suchte in meinen Zügen nach irgendetwas. »Seid Ihr des Lebens müde, Havald? Wartet Ihr nur darauf, zu sterben? Es war schon einmal so, nicht wahr?«
»Ja. Nicht nur einmal. Aber das war, bevor ich Leandra und auch dich kennenlernte. Das ist es, was ich meinte, als ich
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