Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
Es waren kleine blaue Kügelchen, die lange Trauben bildeten. Sie trieben auf dem Wasser und strahlten so intensiv, dass nachts die ganze Stadt davon erhellt war. Nach nur einem Tag sprangen sie auf und verteilten ihren fluoreszierenden Blütenstaub in der Luft. Der trieb durch die Gassen, legte sich auf die Dächer, und der Duft des Meeres, den er mit sich führte, war stark und berauschend. Wie Schnee sah dieser Blütenstaub aus, wie jener Schnee, den sie noch nie gesehen hatten, von dem sie aber wussten, dass es ihn gab, in Erak Maar, vor allem in der Grafschaft Sabbia, aus der ihre Vorfahren stammten.
Eine solche Nacht war es. Lhyr und sie waren zwölf Jahre alt. Zusammen mit den anderen hatten sie oben auf den Klippen gesessen und das Schauspiel der aufspringenden Algenblüten genossen. Auch wenn es sich jedes Jahr wiederholte, war es immer wieder spannend. Und wenn dann die Blüten platzten und schlaff auf dem Algenteppich niedersanken, entfuhren den Zuschauern staunende ›Ahs‹ und ›Ohs‹. In der Sage hieß es, Phenor, die Göttin der Fruchtbarkeit, laufe über den Teppich und streife mit den Füßen die Blüten, so dass sie zersprangen.
Shyra liebte diese Nacht. Vor allem, weil sie dann ausnahmsweise einmal den Tempel verlassen und frei durch die Stadt laufen durften, und weil auch ihre Schwester dieses Fest so liebte. Die Augen auf den Algenteppich gerichtet, das Kinn auf die angezogenen Knie gestützt, saß Lhyr da und wartete ungeduldig, bis es endlich so weit war.
Wenn dann die Luft vom sanften Knallen der Blüten erfüllt wurde, die mit einem letzten Seufzer dahinschieden, klatschte sie immer wieder begeistert in die Hände. Das Licht, das der Blütenstaub abgab, ließ ihre Augen noch heller strahlen, und Shyra konnte sich gar nicht daran sattsehen. Sie und Lhyr waren Zwillinge, und alle sagten, dass sie sich wie ein Ei dem anderen glichen, doch ihre eigenen Augen strahlten nicht ganz so sehr.
So hatten sie also am Abend diesem Schauspiel beigewohnt und waren dann wieder, wie all die Jahre, zwischen den Holzhäusern Orvas durch die Gassen gerannt und hatten den duftenden Staub aufgewirbelt und mit beiden Händen vom Pflaster geschöpft.
Bis zum Hügel liefen sie. Dort ließen sie sich ermattet zu Boden sinken, streckten sich aus und rollten sich in dem Blütenstaub, bis sie wie zwei Lichtfiguren aussahen, die unter einem Himmel voller Sterne lagen. Noch eine Stunde, dann würde es Tag werden. Die Priester würden sie abholen kommen und in den Tempel zurückbringen, wo Lhyr zur Priesterin, Shyra aber militärisch ausgebildet wurde. Dies war das Schicksal der Kinder, die dem Tempel vermacht wurden.
»Was hältst du von einem Bund?«, fragte Lhyr irgendwann.
Shyra drehte sich zu ihr um. »Wie meinst du das? Was denn für ein Bund?«
»So einer, der fürs ganze Leben gilt.«
Mit einem Ruck setzte Lhyr sich auf, und noch bevor die Schwester irgendetwas sagen konnte, nahm sie ihr Messer vom Gürtel. Anmutig, wie bei allem, was sie tat, schnitt sie sich eine Haarsträhne ab, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und zeigte sie der Schwester.
»Hier, schau. Jetzt du.«
Shyra blickte sie zweifelnd an, gehorchte dann aber. Anders als man denken mochte, waren ihre grünen Haare eine Spur verschieden. Auch wer sie besser kannte, glaubte, dass es sich um exakt den gleichen hellen, glänzenden Grünton handelte, und nur die Zwillinge wussten, dass es nicht so war. Das war ihr kleiner Unterschied, den sie wie eine große Sache kultivierten und geheim hielten. Allerdings hatten die Priester dafür gesorgt, dass sie unterschiedlich aussahen: Lhyr hatte langes Haar, während Shyra, die einmal Kriegerin werden sollte, es extrem kurz trug. Daher war es jetzt gar nicht
so leicht, eine Strähne abzuschneiden. Endlich hatte Shyra sie in der Hand und reichte sie der Schwester.
Lhyr nahm sie entgegen und hielt gleichzeitig die ihre Shyra hin. Dann riss sie von ihrem Gewand einen dünnen Stoffstreifen ab, mit dem sie die Haarsträhne zusammenband. Sie bedeutete Shyra, es ihr nachzutun, und ergriff dann ihre Hand mit den Haaren darin.
»Jetzt schwöre mir, dass du diese Strähne immer bei dir tragen wirst, egal, was geschehen mag.«
»Wenn es dir so viel bedeutet …«
»O ja, das ist ein heiliger Bund, unser Geheimnis. Auch wenn sich unsere Wege einmal trennen sollten, wird uns dieses Band bis in alle Ewigkeit zusammenhalten. Und wenn eine von uns stirbt, wird die andere beide Strähnen verbrennen.
Weitere Kostenlose Bücher