Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
Leute zu verärgern. Viele sind schon gestorben, während sie auf das Mittel warteten, wir dürfen die Sache jetzt nicht länger hinausziehen.«
Eine solche Äußerung hätte sich Theana früher niemals vorstellen können. Da war ihr Glaube sehr viel starrer gewesen, bevor er sich dem Schmerz und der Not hatte beugen müssen. Vielleicht war das nicht die Entwicklung, die sie sich für ihre Religion erhofft hatte, vielleicht hätte sie sich eine andere Form des Thenaar-Glaubens gewünscht. Doch die finsteren Zeiten ließen ihr keine andere Wahl.
»Euch allen stehen zwei Fässer zur Verfügung. Das eine enthält das Heilmittel, das andere einen Trank von gleichem Geschmack, der aber keine Wirkung besitzt.«
Ein bestürztes Gemurmel durchlief den Raum. Theana hob eine Hand, und sofort kehrte Ruhe ein.
»Vielen dieser Leute, die vor euch treten werden, um gerettet zu werden, steht der Tod schon ins Gesicht geschrieben. Ist die Krankheit aber bereits sehr weit fortgeschritten, kann auch der Heiltrank aus Nymphenblut nichts mehr ausrichten. Es ist also sinnlos, ihn an Kranke zu verabreichen, für die es keine Hoffnung mehr gibt.«
»Aber wie sollen wir denn erkennen, wem der Trank noch helfen kann?«, fragte einer. »Und zudem wird es doch auffallen, was wir da tun. Was, wenn sich das Gerücht verbreitet, wir würden die Leute hinters Licht führen? Wenn wir all diese Leute gegen uns aufbringen, sind wir unseres Lebens nicht mehr sicher!«
Theana machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Jedermann kann sich leicht vorstellen, dass das Mittel nicht immer wirkt. Und wie gesagt, beide Tränke schmecken gleich. Ihr braucht euch
also keine Gedanken zu machen. Und was deine erste Frage angeht, so liegt die Entscheidung in eurem Ermessen. Jeder von euch hat schon viele Kranke betreut. Ihr habt sie versorgt, habt sie beim Sterben begleitet, und in einigen Fällen konntet ihr miterleben, wie sie gesund wurden. Nun denn, stützt euch auf diese Erfahrung. Ruft euch diese Gesichter in Erinnerung und vergleicht sie mit denen, die ihr vor euch seht. Wenn ihr ehrlich seid, erkennt ihr auf den ersten Blick, wer gerettet werden kann und wer nicht.«
»Aber das ist doch entsetzlich!« Die Stimme kam von einem sehr jungen Mädchen. Sie hatte ein blasses Gesicht, und ihr Hals war von schwarzen Flecken entstellt, wie sie bei denen zurückblieben, die eine Ansteckung überlebt hatten. »Um den Zustand eines Kranken wirklich beurteilen zu können, müsste man ihn eingehender untersuchen. Aber dazu fehlen uns die Zeit und auch die Fachkenntnisse! Ich jedenfalls will eine derartige Verantwortung nicht übernehmen: Mein Nein würde für den Betreffenden den sicheren Tod bedeuten. Für mich wäre das Mord!«
Theana sah das Mädchen lange eindringlich an. Etwas Unverdorbenes, Leidenschaftliches klang aus ihrer Empörung heraus, etwas, das sie selbst schon seit langem verloren hatte. Doch sie wusste auch, dass solch eine Haltung auch eine Unbeugsamkeit mit sich bringen konnte, die manchmal schädlicher war als jede Bosheit.
»Aber überleg doch, es sind mindestens achttausend Leute, die heute hierherkommen werden. Wir haben weder genug Zeit, sie alle untersuchen zu lassen, noch genug Heiltrank, um jeden zu versorgen. Sollen wir also alle nach Hause schicken, nur damit wir nicht einem von ihnen Unrecht tun? Oder das Mittel an alle austeilen, solange es reicht, und es damit all denen vorenthalten, die eben zu spät gekommen sind, ungeachtet des Gesundheitszustands, in dem sie sich befinden?«
Das Mädchen ballte die Fäuste. »Nein, aber …«
Theanas Stimme klang wieder sanfter, als sie fortfuhr: »Unter normalen Umständen hättest du Recht. Aber die Welt ist aus den Fugen geraten. Ich weiß, es ist grauenhaft, über Leben oder Tod von Menschen zu entscheiden. Aber wir haben keine andere Wahl. Ja, von euch wird verlangt, Leute sterben zu lassen. Ich will euch da nichts vormachen, im Gegenteil solltet ihr euch dieser Tatsache stets bewusst sein. Aber auch wenn ihr heute einige Hilfesuchende zum Tode verurteilt, sehr viel mehr werdet ihr retten. Konzentriert euch ganz darauf, denen das Leben zu erhalten, für die noch Hoffnung besteht, dann werdet ihr auch nur jene zum Sterben verurteilen, über die in Wahrheit das Urteil schon längst gesprochen ist. Überlegt es euch gut. Ich kann jeden verstehen, der sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlt.«
Ein drückendes Schweigen folgte ihren Worten. Nicht zum ersten Mal sprach sie heute diese
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