Die Feuertaufe
Männer und junge Mädchen, welche die Händler aus allen möglichen Gegenden Afrikas hingeschafft hatten. Und in absehbarer Zeit würden viele von ihnen auf dem Weg nach Amerika und Indien sein. Wenn sie Glück hatten, mochten sie dort ein halbwegs erträgliches Leben führen, nicht wie Gefangene, sondern eher wie abhängige Diener. Aber die weniger Glücklichen würden wie Tiere leben müssen. Wenn sie nichts mehr taugten, würde man sie einfach umkommen lassen.
Bolitho hatte gehört, daß man Sklavenschiffe, ähnlich wie die Rudergaleeren, schon von weitem an ihrem furchtbaren Gestank erkannte: der charakteristische Geruch, der entsteht, wenn viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind und sich nicht bewegen, nicht sauberhalten können.
Bang . Eine Kanonenkugel zischte über das Schiff und fuhr durch das Vormarssegel wie eine eiserne Faust.
»Das war schon näher!« Starkie hatte die Daumen im Gürtel und ließ die Fregatte nicht aus den Augen. »Sie kommt jetzt schneller auf.«
»Deck ahoi! Brecher in Lee voraus!«
Starkie eilte zur Reling und griff nach einem Fernglas. »Aye, da sind sie. Die erste Reihe der Riffe.« Er wandte sich nach den Rudergasten um. »Luv an einen Strich!«
Das Rad knirschte und die Oberbramsegel flappten protestierend.
»Süd zu Ost, Sir!«
»Recht so!«
Bolitho merkte an der schwieriger werdenden Fahrt und an dem wütenden Erzittern jeder Spiere und jedes Segels, daß sie jetzt in flacheres Wasser kamen und dabei eine starke Gegenströmung kreuzten.
»Wir sollten lieber Segel kürzen«, sagte Starkie. Bolitho blickte ihn an und sagte beschwörend: »Wenn wir das tun, erwischt er uns, bevor es für ih n gefährlich wird!«
»Wie Sie meinen«, erwiderte der Bootsmannsmaat ungerührt.
Da kam Eden den Niedergang hochgeklettert; ängstlich suchten seine Augen achtern nach dem Feind.
»Mr. Hope verlangt nach d-dir, Dick.« Er duckte sich, als eine Kugel aus dem Buggeschütz der Fregatte dicht vorbeiflog und eine Fontäne hochjagte wie von einem blasenden Wal.
Bolitho nickte. »Ich gehe rauf. Rufen Sie mich, wenn sich was tut.«
Durch das Fernrohr beobachtete Starkie die vorderste Brecherlinie.
Dadurch, daß er das Schiff eine Kleinigkeit hatte abfallen lassen, zeigte das Bugspriet mit seinem auf- und abschwankenden Klüverbaum fast genau auf die gefahrverkündende Brandung.
»Keine Sorge«, rief er über die Schulter, »Sie werden's schon merken.«
Unten tastete sich Bolitho zu der winzigen Kajüte hin. Mit unnatürlich glänzenden Augen lag Hope auf dem Rücken in der Koje. Bolitho beugte sich über ihn.
»Der Vierte ist krank, höre ich?« flüsterte Hope. Sein Gesicht war aschgrau. »Hol ihn der Teufel, warum hat er so spät eingegriffen?« Seine Gedanken schweiften ab; undeutlich murmelte er: »Meine Schulter! O Gott, sie werden mir den Arm abnehmen, wenn wir wieder auf dem Schiff sind.«
Schmerz und Verzweiflung schienen ihn dann wieder zur Besinnung zu bringen. »Werden Sie's schaffen?«
Bolitho zwang sich ein Lächeln ab. »Wir haben einen guten Steuermann an Deck, Sir. Und Mr. Dancer und ich bemühen uns, wie alte Seeleute auszusehen.«
Die feuchte Luft in der Kajüte erzitterte von einem neuen dumpfen Krach, und Bolitho spürte, wie der Schiffsrumpf in allen Fugen bebte: eine Kugel hatte längsseits ganz nahe eingeschlagen. Zu nahe.
»Sie können sich doch nicht mit einer Fregatte in ein Gefecht einlassen!« keuchte Hope.
»Wollen Sie, daß ich die Flagge streiche, Sir?«
»Nein!« Er schloß die Augen und stöhnte vor Schmerzen.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß ich an Deck sein müßte und Ihnen helfen – irgendwas tun. Statt dessen . . .«
Bolitho konnte jetzt noch besser verstehen, wie verzweifelt der Leutnant war. Der Fünfte stand ihm näher als die anderen Offiziere. Hope hatte zwar immer so getan, als seien ihm die Midshipmen außerdienstlich ganz gleichgültig, und hatte sich sogar bemüht, äußerlich möglichst hart zu erscheinen; das streifte manchmal sogar die Grenze der Brutalität. Aber in dem ständigen Zusammensein hatte sich doch herausgestellt, daß seine unfreundliche Kritik manchmal notwendig und oft sogar wohltätig war, ganz im Sinne seines Lieblingsausspruchs: »Diese s Schif f brauch t Offiziere , keine Kinder.«
Und nun lag er da, hilflos und gebrochen. Ruhig sagte Bolitho: »Ich komme mir Ihren Rat holen, so oft ich kann, Sir.«
Aus der blutbefleckten Koje streckte sich ihm eine Hand entgegen und faßte die
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