Die Feuertaufe
Flugwagen stieg, verlangsamte Judith ihre Schritte ein wenig. Dank der Bilder, die Michael ihr geschickt hatte, erkannte sie Todd Liatt sofort. Sie wusste, dass er einer von Michaels engsten Freunden war. Natürlich fragte sie sich sofort, was Todd wohl denken würde, wenn sie Michael bat, ihre Königin und deren gesamte interstellare Außenpolitik zu verraten, bloß um ein kleines Mädchen zu retten.
Wieso glauben die Entführer überhaupt, Michael würde so etwas tun? Er gehört dem Militär an! Es muss doch schon Dutzende von Situationen gegeben haben, in denen er oder seine Vorgesetzten entschieden haben, es sei erforderlich, einige Menschen sterben zu lassen, damit andere überleben können! Wenn wir unser Bündnis mit Grayson verlieren, reißt das ein entsetzliches Loch in unsere Verteidigung gegen die Volksrepublik.
Als Judith begriff, was es bedeutete, dass sie hier über »unsere« Verteidigung nachdachte, blieb sie abrupt stehen. Das Sternenkönigreich lag nicht alleine in Michaels Verantwortung. Sie selbst, Judith Newland, hatte ebenfalls ihre Verantwortung zu tragen – ihre Verantwortung als Bürgerin ebendieses Sternenkönigreichs. Sie mochte ja vielleicht keine Sternenschiffe und keine Geschützbatterien befehligen, und sie bekleidete auch kein Amt in der Politik, doch trotzdem wusste sie, dass auch sie Verantwortung trug.
Ich kann von Michael nicht verlangen, sein Volk zu verraten – unser Volk. Nicht einmal für Ruth. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass Ruth zu Ephraim zurückgebracht wird!
Während Judith noch ganz in diese Überlegung vertieft war, hatte Michael Winton sie erreicht. Todd Liatt hielt sich ein Stück weit hinter ihm. Außerdem stand drei Schritte hinter dem Kronprinzen ein gedrungener dunkelhaariger Mann, dessen wachsame Haltung so deutlich »Leibwächter« verkündete, dass die Uniform des Palastschutzes überhaupt nicht erforderlich gewesen wäre.
Hinter dem Kronprinzen , dachte Judith und ließ den Blick von dem Leibwächter zu dem Stingship hinüberwandern, das auch jetzt noch über ihnen am Himmel stand und nur als winziger Punkt zu erkennen war. Das ist nicht einfach nur irgendein Lieutenant Michael Winton.
Sie streckte die Hand aus und umschloss Michaels dunkle Finger.
»Michael, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen.« Erleichtert bemerkte Judith, dass ihre Stimme überhaupt nicht zitterte. »Und Sie müssen Todd sein – Verzeihung, ich meine natürlich ›Lieutenant Liatt‹. Nach allem, was mir Michael in seinen Briefen erzählt hat, habe ich das Gefühl, ich würde Sie schon längst persönlich kennen.«
Todd grinste und schüttelte ihr nun ebenfalls höflich die Hand. »›Todd‹ ist voll und ganz in Ordnung. Aber nennen Sie mich bloß nicht ›Gevatter Todd‹, so wie unser gemeinsamer Freund es hin und wieder tut.«
Michael wandte sich ein wenig ab und deutete auf seinen Leibwächter. »Und das ist Lieutenant Vincent Valless.«
Judith reichte der Leibwache nicht die Hand – sie hatte festgestellt, dass es ihr auch jetzt noch ernstliche Anstrengung abverlangte, einen fremden Mann zu berühren. Dafür jedoch schenkte sie ihm ein freundliches Lächeln.
»Gehen wir doch in mein Apartment, ja? Ein paar Erfrischungen stehen schon bereit.«
Michael blickte sich um. »Wo ist denn Ruth? Du hast geschrieben, dass sie jetzt nicht mehr krabbelt, sondern schon laufen kann. Ich habe fest damit gerechnet, von ihr ganz dolle gedrückt zu werden!«
»Die werden wir schon finden«, sagte Judith und hoffte inständig darauf, diese Worte seien wahrhaft prophetisch.
Michael versuchte nicht einmal, seine Überraschung zu verbergen, als er an der Eingangstür zu Judiths Apartment von Dinah begrüßt wurde – und von Ruth keine Spur zu sehen war. Sorgenfalten hatten sich in das Gesicht der älteren Frau gegraben, und Michael spürte deutlich, dass Judith und sie gerade jetzt lautlos miteinander kommunizierten.
Dann berührte Judith ihn sanft am Arm und brachte ihn so dazu, sich zu ihr herumzudrehen.
»Ich muss unbedingt mit dir sprechen«, sagte sie. »Geht das auch, ohne dass er« – sie blickte zu Vincent Valless hinüber – »jedes Wort mitbekommt?«
Michael stockte das Herz. »Ich weiß nicht recht. Wenn wir im Mount Royal Palace wären, ginge das sicher, aber das hier ist ja ›ungesichertes Gebiet‹ …«
Judith stieß einen Seufzer aus. Es war kein Zeichen der Verärgerung, sondern der puren Verzweiflung. Dann warf sie einen Blick
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