Die Feuertaufe
auf ihr Chronometer.
»Wir können nicht länger warten. Ich kann nicht mehr warten. Ich werde einfach darauf vertrauen müssen … Michael, kannst du wenigstens Todd und den Lieutenant bitten, sich auf keinen Fall einzumischen?«
»Wenn du nicht gerade geplant hast, die Regierung zu stürzen«, erwiderte Michael bewusst leichthin.
Zu seiner immensen Überraschung füllten sich Judiths Augen mit Tränen. Er hatte miterlebt, wie man sie zum Tod ihrer Eltern befragt hatte, zu ihrer Gefangenschaft bei den Masadanern, zu der grausamen Behandlung, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen, solange sie sich in Ephraim Templetons Gewalt befunden hatte. Doch nie hatte Judith auch nur eine einzige Träne vergossen. Ja, soweit sich Michael erinnerte, hatte er Judith nur ein einziges Mal weinen sehen: Als sie geglaubt hatte, Dinah liege im Sterben.
Michael widerstand dem Impuls, ihr die Träne von der Wange zu wischen, schließlich wusste er, dass Judith auch jetzt noch jeglichen Körperkontakt in der Öffentlichkeit, von unpersönlichen Gesten der reinen Höflichkeit abgesehen, als zutiefst geschmacklos empfand. Stattdessen trat er einen Schritt zur Seite, um sie vor den Blicken der anderen abzuschirmen, solange sie noch um Beherrschung rang.
Lange dauerte es nicht. Drei tiefe Atemzüge später waren die Tränen wieder verschwunden. Dann warf Judith einen weiteren Blick auf das Chronometer und wandte sich wieder ihren Besuchern zu.
Todd und Dinah hatten sich einander mittlerweile verlegen vorgestellt und taten so, als würden sie die Anspannung der beiden anderen nicht bemerken. Vincent Valless war äußerlich gänzlich teilnahmslos – das hatte er seiner strengen Ausbildung zu verdanken –, doch Michael war sich sicher, dass auch sein Leibwächter angesichts dieser unerwarteten Wendung immens erstaunt war.
Judith deutete auf den runden Tisch, der in einer Ecke des makellos sauberen, spärlich möblierten Apartments stand.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz! Ich hole gerade noch etwas aus der Küche, aber ich werde gleichzeitig schon mit der Erklärung anfangen. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit wirklich drängt.«
Dinah, Todd und Michael traten an die Stühle heran. Valless blieb stehen und positionierte sich so, dass er Fenster und Tür gleichermaßen im Blick behalten konnte. Währenddessen ging Judith in die kleine Küche hinüber, und während sie nach einer Servierplatte mit kleinen Sandwiches und einigen Süßigkeiten griff, begann sie mit ihrer Erklärung.
»Ruth wurde entführt«, sagte sie und hob dann abwehrend die Hand, als sie das entsetzte Keuchen ihrer Gäste hörte. »Ja, ich bin mir sicher. Ich war gerade von den Nachbarn unter mir zurückgekommen, weil ich wissen wollte, ob sie Ruth vielleicht gesehen haben, als die Entführer mich angerufen haben.«
Dinah nickte. »Was Judith sagt, stimmt. Ich war hier, als das Com zum ersten Mal geklingelt hat, aber ich wollte das Gespräch nicht annehmen. Und als Judith dann wieder zurück war und abgenommen hat, wurde sie gefragt, ob sie allein sei.«
»Und da habe ich gelogen«, sagte Judith. »Ich wollte, dass noch jemand hier ist – nur für den Fall, dass ich vielleicht irgendein Detail vergesse.«
»Sonderbar, dass die so einen Anruf über ein öffentliches Com führen«, merkte Michael an. »Und dann fragen sie dich auch noch, ob vielleicht noch andere Zeugen anwesend sind, und glauben dir einfach …«
Schiere Verzweiflung stand in Judiths grünen Augen zu lesen. »Eigentlich glaube ich ja, dass es denen völlig egal war, ob es nun Zeugen gab oder nicht. Wahrscheinlich wäre ihnen das sogar lieber gewesen. Warte ab! Wenn ich dir erkläre, was sie verlangt haben, verstehst du bestimmt, warum ich das denke.«
Mit klinischer Präzision wiederholte sie das ganze Gespräch. Doch als sie die Bedingungen für Ruths Freilassung erklärte, schoss ihr das Blut in die Wangen.
»Gut, dann mache ich das«, sagte Michael sofort.
Zwei Stimmen gleichzeitig verhinderten, dass er noch etwas hinzusetzte.
Voller Entsetzen erklärte Todd: »Michael, das kannst du unmöglich tun!«
Judiths Stimme klang sogar noch entschlossener, als sie sagte: »Das lasse ich nicht zu.«
Michael starrte sie an.
»Das lasse ich nicht zu«, wiederholte Judith. »Ich habe keine Ahnung, warum sie glauben, ich hätte irgendeinen Einfluss auf dich, aber ich werde nicht zulassen, dass du ein entscheidendes Bündnis und deinen eigenen Ruf ruinierst.«
Ach, du hast also keine Ahnung,
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