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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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die Beschreibung war so oberflächlich, daß man nichts damit anfangen konnte...
    Ein Student?... Ein Student, der in Bern studierte? Ein Chemiker? Ein Mediziner?
    Rätselhaft blieb einzig, warum er nach Freiburg gefahren war – er hätte doch so gut die Pastille Cyankalium dem Mädchen geben und ihm versichern können, es sei ein ausgezeichnetes Mittel gegen Kopfweh! Doch nein – er war nach Freiburg gefahren, er hatte die Tochter in ihrem Zimmer aufgesucht, das Gift im Wasser aufgelöst und die Ahnungslose trinken lassen... Das war nicht schwer. Ulrike – ja, Ulrike Neumann hieß das Mädchen – also Ulrike bewohnte eine Dachkammer, das Tor blieb bis um zehn Uhr offen, drei Familien bewohnten das Haus... Wer wollte da alle Ein- und Ausgänge kontrollieren?...
    Und heute, Wachtmeister, kommen Sie mit dem vielgesuchten Fingerabdruck zu mir... Wenigstens glaube ich, daß es sich um den gleichen handelt. Natürlich, beschwören könnte ich nichts. Sie sehen, wie vergilbt, trotz aller Vorsicht, die Photographie ist. Aber die Narbe... die Narbe... Sie sehen doch die Narbe? Der Schnitt, der die Haut des Daumens teilt, der die Spiralen zerschneidet? – Wo haben Sie den Fingerabdruck gefunden?«
    Studer räusperte sich. Er war nicht gewohnt, so lange zu schweigen. Und dann erzählte er die Geschichte vom Tode der beiden Frauen, vom Auffinden der Tasse im Schüttstein, daß jemand sie geleert und ausgespült hatte, während er sich in der Wohnung umgesehen habe...
    »Es sieht ihm ähnlich«, sagte Herr Rosenzweig. »Die gleiche Technik, möchte ich fast sagen, nach zwanzig Jahren... Und Sie haben keinen Fingerabdruck des Paters?« Kopfschütteln... »Schade.«
    Schweigen. Dann sagte Herr Rosenzweig abschließend und stand auf: »Lassen Sie mir die Tasse da, Wachtmeister; ich werde den Abdruck vergrößern...« Er blicke auf die Uhr. »Wenn Sie wollen, können Sie um vier Uhr einen Abzug haben...«
    Auch Studer erhob sich und griff mechanisch in seine Busentasche. Mechanisch: denn er dachte daran, eine Brissago anzuzünden, sobald er das Heiligtum der Fingerabdrücke verlassen haben würde... Er griff also in die Busentasche – und fühlte etwas rascheln unter seinen Fingern. Er zog das Papier hervor und vergaß dabei gänzlich das längliche Lederetui; denn was er hervorzog, war die Fieberkurve...
    Die Fieberkurve... Er faltete sie auseinander, betrachtete sie mit gerunzelter Stirn und war plötzlich weit weg...
    – Der weißgekalkte Raum, in dem es noch nach Leuchtgas riecht... Durch das Fenster sieht man spitze Dächer, Reif liegt auf ihnen und über den gegenüberliegenden First schiebt sich eine bleiche Sonne...
    Am Fenster aber steht Marie, sie trägt ein teures Pelzjackett, ihr Atem läßt auf dem Glase einen trüben Fleck entstehen, Tropfen bilden sich...
    »Was habt Ihr da Schönes, Wachtmeister?«
    »Eine Fieberkurve...« Und Studer erzählte, was es mit dem Dokument für eine Bewandtnis hatte...
    »Lassen Sie mir das Papier da«, meinte Herr Rosenzweig. »Ich werde es mit Joddämpfen behandeln... Vielleicht läßt sich ein Fingerabdruck darauf entwickeln... Auf alle Fälle werde ich Ihnen mitteilen können, von wo es abgeschickt worden ist. Sie wissen, daß ein durch die Enveloppe durchgedrückter Poststempel noch nach Jahren nachweisbar ist...«
    Studer verabschiedete sich dankend. Er versprach, gegen vier Uhr wiederzukommen...
    »Unnötig«, sagte Herr Rosenzweig. »Ganz unnötig. Ich komme in die Stadt, wir können uns, wenn Sie wollen, irgendwo treffen – zu einer Partie Billard? Ja?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Studer, »ob mir die Zeit langen wird... Märci einewäg...«
    Pater Matthias saß im ledernen Klubsessel und las in einem kleinen, schwarzgebundenen Büchlein. Er trug eine verbogene Stahlbrille auf der Nase und seine Lippen bewegten sich lautlos.
    Studer grüßte kurz und verlangte dann die Daumen des Paters zu sehen.
    Sie waren glatt. Keine Narbe zerteilte ihre Spiralen...
    Also?... Also war in den wenigen Minuten, während deren Studer die Küche verlassen hatte, außer dem Pater ein anderer eingedrungen und hatte die Tasse ausgespült... Das schien fast unmöglich. Einleuchtender war die andere Theorie: der Daumenabdruck, den Herr Altfürsprech Rosenzweig auf der Tasse entdeckt hatte, war am gestrigen Abend vom Mörder zurückgelassen worden. Und Pater Matthias hatte die Tasse aus einem vorläufig noch undurchsichtigen Grunde ausgespült und damit dem Mörder geholfen... Warum?... Alles

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