Die Fieberkurve
Mitte September... Eine gewisse Cleman Marie... War bei dem Koller Sekretärin... Weißt du übrigens, daß dein Pater Matthias auch Koller heißt? Genau wie der verschwundene Makler, ja. Du hast die Daten? Gut, ich schreibe mit...« Und Studer zog das Weihnachtsgeschenk seiner Frau aus der Busentasche und begann nachzuschreiben. Er murmelte leise dazu: »Spekulationen in nordafrikanischen Minenaktien, verliert beim Krach der Banque Algérienne im Juli... Ja ja, ich verstehe gut, weiter... Meldet am 2. August den Konkurs an... Papiere beschlagnahmt... Aussage der Marie Cleman vom 15 . September: Mein Chef war deprimiert, erklärte mir oftmals, er habe keinen Mut mehr und kündigte mir auf 1. Oktober... Verließ am 13. September abends unsere gemeinsame Wohnung... Gemeinsame Wohnung? Ah... Aaah... Nein, nein, verzeih, Alter, ich hab, mich an meiner Zigarre gebrannt... Nur weiter. Also: aus der gemeinsamen Wohnung fortgegangen... Gut. Ohne Gepäck?... Ohne Gepäck!... Hat mir Geld hinterlassen... Wieviel... 4000 Franken... So so, du hast die Papiere beschlagnahmen lassen? Und Godofrey untersucht sie?... Nein, nein, nicht nötig. Ich werde wahrscheinlich selbst nach Paris kommen. Hast du eine Beschreibung des Jakob Koller? Ja? Ich schreibe nach: 1,89 m, gelbe Hautfarbe, glattrasiert, stumpfblondes Haar... Keine Photo? Schade... Keine Leiche, auf welche die Beschreibung passen könnte?... Dann wäre das erledigt. Halt, wart noch: Nachforschen, wo Korporal Collani, 1.Fremdenregiment, 2.Bataillon, sich augenblicklich aufhält. Collani, ja. Ähnlich wie Koller, nur mit einem C am Anfang, zwei L, A wie Alfons, N wie Nini, I wie Isidor... Über Bel-Abbès? Das weißt du besser als ich. Natürlich, wenn du es machen kannst. Sicher geht es drahtlos schneller. Ausführliche Antwort, ob Collani noch immer als Deserteur gilt, dann: was man von ihm weiß, Datum seines Engagements, Lebenslauf etcaetera... Nein, nicht telephonisch, ein Telegramm an meine Privatadresse, wenn du meinst, daß du noch diese Nacht Antwort bekommen kannst. Halt, wart noch... Woher kennst du den Pater Matthias?... Was? Vom Kriegsministerium empfohlen? Und vom Minister der Kolonien? Hm. Er hat damals keine Märchen erzählt, weißt du noch, in der Beize... Die beiden Frauen sind wirklich tot. Ein merkwürdiger Fall... Leuchtgas, ja... Und das Ganze sieht verzweifelt nach einem Doppelmord aus... Der Pater hat sich merkwürdig benommen, er ist übrigens nach Genf verreist... Nein, nein, keine Angst, ich erwisch ihn schon noch...Vorläufig laß ich ihn laufen, glaubst du, ich will mich in einen Konflikt mit dem Papst einlassen? Wann ich komme? Ich weiß noch nicht. Mein Patron muß mir zuerst seinen Segen geben... Haha... Der Vouvray war gut und meine Frau hat sich über die Gansleberpastete gefreut, das kannst du Godofrey erzählen... Ja, Fräulein, wir sind fertig. Geben Sie mir noch einmal die Basler Stadtpolizei...
Ja?... Ich schreibe nach... Nr. BS 3437... Buick... Garage Agence Américaine.. . Kleiner Mann, mager, gelbe Gesichtshaut, blauer Regenmantel, Wollschal... Am 1. Januar achtzehn Uhr... Brachte es zurück heute um fünfzehn Uhr... In Begleitung einer Dame... Danke... ja? Ah... Taxichauffeur Adrian gibt an, er sei gestern nacht von einem Priester in weißer Mönchskutte am Bahnhof SBB für eine Fahrt nach Bern gemietet worden... Um einundzwanzig Uhr... Gepäck?... Ein Brotsack... Der Chauffeur erklärt, er habe sich gewundert, daß ein Mann, der nicht einmal Socken trug, so viel Geld bei sich hatte... Das Geld im Brotsack, gut... Einige Hunderternoten... Nein, nichts Besonderes. Aber ich würde vorschlagen, die Leiche der durch Gasvergiftung ums Leben gekommenen Cleman-Hornuss Josepha, Witwe, Spalenberg 12, zu autopsieren. Der Gerichtschemiker soll den Magen – und Darminhalt analysieren – nach Barbitursäure fahnden... Barbitur, ja... Schlafmittel, wenn Sie wollen... Wie haben Sie das alles so schnell finden können?... So so, ja ja, aber der Witz ist alt, er hat einen Bart. Vielleicht zeigen wir Berner einmal den Baslern, daß wir g'merkiger sind, wenn wir auch langsamer sind, hehehe... Die Wohnung auf dem Spalenberg?... Wozu bewachen?... Machen Sie das, wie Sie wollen... Die Miete ist bis zum ersten April bezahlt? So... Danke...«
Studer stützte die Wange auf die Hand und starrte auf das Löschblatt. Da hatte er, ohne es zu wissen, Berge gezeichnet, und die Berge glichen einer Fieberkurve. Wüst sah das Löschblatt aus, aber die untere
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