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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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die Scheidung nach einem Jahr schon? Wissen ist nicht nur Macht, wie der beliebte Gemeinplatz lautet, Wissen bringt auch Geld ein. Wissen ist die Grundlage für eine schlau angelegte Erpressung. Kann die Grundlage sein...
    Jede Handlung läßt sich begründen – und wenn der Grund nicht im Bewußten gefunden werden kann, so muß man ihn im Unbewußten suchen. Dies hatte der Wachtmeister von der Berner Fahndungspolizei einmal gelernt, als er einen Fall hatte aufklären müssen, der in einem Irrenhaus spielte. Ein Psychiater hatte es auf sich genommen, ihm den Unterschied zwischen bewußt und unbewußt recht drastisch einzubleuen.
    Der Portier des Hotels zum Wilden Mann wunderte sich über den schweigsamen Fahnder, der sich an dem Gästebuch festgesehen hatte...
    »Koller Max Wilhelm, geb. 13. März 1876 in Freiburg, Missionar, von Paris nach Paris...«
    Geboren am 13 . März 1876, somit sechsundfünfzig Jahre alt, – er sah älter aus, der Pater Matthias mit dem Schneiderbärtchen. Am 13. März. Der Dreizehnte war ein Unglückstag. Mit achtzehn Jahren war er in den Orden der »Weißen Väter« eingetreten, ein Orden, der vom Kardinal Lavigerie gegründet worden war, um die Mohammedaner zu bekehren. Eine hoffnungslose Angelegenheit, wie der Pater selbst sagte. Im Jahre 1917 war der Pater mithin einundvierzig Jahre alt gewesen. Und er stammte aus Freiburg...
    Freiburg... In Freiburg hatte auch die Ulrike Neumann gelebt. Die Ulrike Neumann, die mit einem Unbekannten in Bern ein Verhältnis gehabt hatte und dann gestorben war, nach dem Genuß von KCN, von Cyankalium. Und getroffen hatte sie sich mit ihrem Liebsten im Hotel zum Wilden Mann...
    Der Portier mit dem tadellosen Scheitel, der so streng nach Brillantine roch, fuhr zusammen, als der stumme Mann plötzlich den Mund auftat und ein wenig heiser befahl:
    »Rufen Sie mir den Direktor!«
    »Ich weiß nicht, ob der Herr Direktor augenblicklich zu...«
    »Rufen Sie mir den Direktor!« Ein Widerspruch ließ sich nicht gut anbringen.
    »Ich werde sehen, ob es möglich...«
    »Ich erwarte den Direktor in drei Minuten. Führen Sie mich in sein Bureau!« Wachtmeister Studer sprach Schriftdeutsch. Der Portier verschwand. Und Studer marschierte ruhigen Schrittes auf eine Türe zu; eine Milchglasscheibe im oberen Teil; darauf in schwarzen Buchstaben: »Direktionsbureau«.
    Zwei Minuten und dreißig Sekunden. Dann stand vor ihm ein O-beiniges Männchen mit einem Spitzbauch, das sich unaufhörlich die Hände rieb.
    »Ich möchte«, sagte Studer und erwiderte die freundliche Begrüßung mit einem zerstreuten Kopfnicken, »die Gästebücher der Jahre 1902 und 1903 sehen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte das spitzbäuchige Männchen, »Ob mir dies möglich sein wird. Ich habe das Hotel erst 1920 übernommen und da wird es...« Weiter kam er nicht.
    »Wenn die verlangten Bücher nicht innerhalb einer Viertelstunde hier auf dem Tisch liegen«, sagte Studer und klopfte mit der Hand auf eine rote Plüschdecke, die den Tisch inmitten des Direktionsbureaus überdeckte, »so telephoniere ich an die Stadtpolizei. Sechs Fahnder übernehmen dann die Suche – und ich garantiere Ihnen, daß meine Leute die Bücher finden werden. Nur wird das einen kleinen Skandal geben, es wird unmöglich sein, Ihre Gäste in Unwissenheit darüber zu lassen, daß bei Ihnen eine polizeiliche Untersuchung vorgenommen wird. Inwieweit«, »Inwieweit«, sagte Studer, »dies Ihrem Kredit nützen oder schaden wird, dies festzustellen überlasse ich Ihnen. Vielleicht wird es eine ausgezeichnete Reklame für Ihr Hotel sein...« Und schwieg.
    Das O-beinige Männlein jammerte, jammerte herzerweichend. Studer hatte seine dicke Silberuhr auf den Tisch gelegt. Nach einer Weile sagte er: »Sie haben noch zehn Minuten.« Das Männchen begann Flüche zu murmeln und Verwünschungen, Drohungen auch mit Großräten und Nationalräten und Ständeräten und Bundes...
    »Sieben Minuten«, sagte Studer. Da fiel die Glastüre schmetternd ins Schloß hinter dem O-Beinigen.
    Nach fünf Minuten lagen drei verstaubte Bücher vor Studer. Der Wachtmeister zog einen Stuhl heran und begann zu blättern. Jänner 1902 – nichts. Horner – nichts. März – erster, zweiter, dritter... Am zehnten: Neumann Ulrike, 21.Juni 1883, Freiburg... Eine Nacht. Kein Männername in der Nähe.
    Und im April tauchte die Ulrike Neumann wieder auf, im Mai, im Juni, im Juli... Immer allein.
    Endlich: am 23. September stand gerade unter dem Namen der Ulrike

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