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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Neumann ein Männername: Koller Victor Alois, 27.Juli 1880, stud. phil., Freiburg...
    Oktober das gleiche, November auch. Im Dezember zwischen dem Namen der Ulrike Neumann und dem Namen des Koller Victor Alois die Namen dreier Gäste. Im Dezember auch. Im Januar 1903 die gleiche Schrift.
    Dann, in den folgenden Monaten, fehlte der Name des Mannes. Er tauchte nicht mehr auf. Auch seine Schrift... eine eigenwillige Schrift, mit einem deutlich eingerollten Schnörkel – fehlte. Das ganze Jahr 1903 war die Schrift sowohl als auch der Name nicht mehr zu finden. Aber regelmäßig, alle vierzehn Tage, tauchte der Name der Ulrike Neumann auf. Zum letztenmal am 27.Juni. Dann nicht mehr.
    Koller Victor Alois... Man brauchte kein Graphologe zu sein, um festzustellen, daß der Mann, der seinen Namen ins Gästebuch eingetragen hatte, auch der Verfasser des Testamentes war... Jenes Testamentes, das ein Vermögen von einigen Millionen zwischen dem Kanton Bern und der Marie Cleman teilte...
    Aber – und dies war das Merkwürdigste – weder die Schrift des Testamentes noch die Schrift im Gästebuch hatte auch nur die geringste Ähnlichkeit mit der Schrift auf der Enveloppe, die an »Madame Josepha Cleman-Hornuss, Spalenberg 12, Bâle« adressiert war.
    Sie hätte, die eigenwillige, egoistische Schrift, eher noch der Schrift geglichen, die ins Gästebuch geschrieben hatte:
    »Koller Max Wilhelm, 13. März 1876 in Freiburg, von Paris nach Paris.« Der Schrift Pater Matthias'!
    Außer dieser Ähnlichkeit der Schriften war da noch ein Handkoffer aus Vulkanfiber, enthaltend: einen blauen Regenmantel, einen billigen grauen Konfektionsanzug, ein gebrauchtes weißes Hemd mit weichem Kragen, eine geschmacklose Krawatte, ein Paar Socken, ein Paar schwarze Halbschuhe...
    Pater Matthias alias Koller Max Wilhelm aber war verschwunden. Er hatte sich nach Überwindung eines Fieberanfalls verflüchtigt.
    Auf der roten Plüschdecke lag noch immer Wachtmeister Studers dicke Silberuhr. Sie zeigte halb fünf. Auf dem Schreibtisch beim Fenster aber stand ein Telephon. Und in einer Ecke des Zimmers, eingeschüchtert, schweigsam, der Direktor des Hotels ›zum Wilden Mann‹.
    »Sie erlauben?« fragte Studer, trat zum Schreibtisch und stellte auf der Scheibe eine Nummer ein.
    »Du, los einisch«, Studer sprach breites Bärndeutsch. Nach einer Pause fuhr er fort: Ob ein Mönch in einer weißen Kutte sich auf dem Bahnhof gezeigt habe?... Ja?... Wann?... Den Fünf zehn-zweiundzwanzig nach Genf?... Aha... Ganz recht!... Kein Gepäck?... Nur einen Brotsack?... »Märci denn, Fridu!« Der Postenchef vom Bahnhof Bern schien einen Witz gemacht zu haben, denn Studer lachte. Es war ein gezwungenes Lachen und kam nicht von Herzen. Und dann legte der Wachtmeister den Hörer auf die Gabel. Er wandte sich um und teilte dem Direktor trocken mit, ein Gast seines Hotels sei durchgebrannt. Ja, der Missionar. Er habe seine Rechnung nicht bezahlt?... Keine Sorge darum!... Der Betrag werde wohl in den nächsten Tagen eintreffen – per Mandat wahrscheinlich – und mit Trinkgeld. Pater Matthias habe nicht den Eindruck eines Zechprellers gemacht?... Nein, nein, durchaus nicht. Wahrscheinlich habe er ein Telegramm erhalten... Es sei für ihn kein Telegramm im Hotel abgegeben worden?... Das habe gar nichts zu sagen. Sicher habe der Missionar es an einer Privatadresse abgeholt...
    Studer schmunzelte über das Gebaren des O-beinigen Männchens. Händereibend trabte es im Zimmer auf und ab, umkreiste den Schreibtisch, zog die Kreise enger und enger um den davorstehenden Armstuhl, den des Wachtmeisters mächtige Gestalt verdeckte, endlich... endlich schlüpfte das Männchen unter Studers Arm durch und ließ sich aufatmend auf den Sitz plumpsen.
    »Ich glaube«, sagte der Direktor und zog einen Füllfederhalter aus dem Behälter, der den Schreibtisch zierte, »daß ich der Behörde mein Entgegenkommen genügend bewiesen habe. Darf ich Sie bitten, Wachtmeister, nun mein Bureau zu verlassen?«
    Studer schnaufte durch die Nase. Der richtige Bureauhengst, dieser Direktor! Der Schreibtischstuhl mit dem beweglichen Sitz war sein Thron, auf ihm war der Spitzbauch plötzlich unantastbar, Diktator, Herrscher, Kaiser – kleiner Kaiser. Der Stuhl allein gab ihm Würde und Sicherheit... »Gewiß, Herr Direktor«, und Studer verbeugte sich übertrieben tief. Und dann war er plötzlich verschwunden. Der Direktor hatte nicht einmal das Schließen der scheppernden Glastür gehört...
    Der

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