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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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Ratte reingeworfen.
    An die Haustür hängten wir eine Tafel, auf die wir jeden Tag schrieben, welcher Film erzählt wurde und wann die Vorstellung begann. Unten stand in kleinerer Schrift:
    »Hunde müssen draußen bleiben«.
    Mein Vater war für das Einsammeln der Spenden zuständig. Mit einem Schuhkarton auf den Knien postierte er sich in seinem Sessel mit den Rädern vor der Tür. Die Spenden gingen über fünf Peso für Erwachsene und einen Peso für Kinder nicht hinaus. Der Eintritt ins Kino kostete fünfzig.
    Mein ältester Bruder machte den Türsteher, die anderen waren Platzanweiser.
    Nur damit Sie eine Ahnung bekommen, wie gut es für uns lief: Die Kinder, die den einen Peso nicht hatten, wechselten sich an den Löchern in unserer Wellblechwand ab, um mich zu sehen. Außerdem nutzte einer von den Süßigkeitenverkäufern vom Kino die Zeit zwischen der frühen Abend- und der Spätvorstellung (also die Zeit, wenn ich auftrat) und stellte sich vor unser Haus.
    »Früher Spätabend« nannte mein Bruder Mirto die Zeit meiner Vorstellung.
    22
    An Tagen, an denen ich nicht ins Kino konnte, weil ein Film »Frei ab 21« lief, machte ich mir das Leben nicht unnötig schwer. Da man mein Gedächtnis wohl »filmisch« hätte nennen können, wiederholte ich die Vorstellung, die unter der Woche am besten angekommen war. Die Erwachsenen waren dann ja alle im Kino, deshalb füllte sich unser Haus mit Kindern und ein paar alten Tanten, die sich das Maul zerrissen über den »Schweinkram«, den der Kinobetreiber in die Siedlung brachte.
    Die besten Tage waren für uns allerdings die, an denen im Kino der Siedlung gar kein Film lief. Das kam schon mal vor und aus unterschiedlichen Gründen:
    Weil der Film nicht geliefert wurde.
    Weil der Projektor streikte.
    Weil der krumme Kurbler krank war.
    Letzteres sollte heißen, er war voll wie eine Haubitze und konnte selbst im Bollerwagen nicht ins Kino verfrachtet werden, wie man es einmal getan hatte. Jedenfalls hat mein Vater uns das so erzählt.
    Damals sollte ein Film mit Jorge Negrete laufen. Das Kino war bis zum letzten Platz besetzt, und der Vorführer kam nicht. Jemand sagte, er habe ihn in der Kantine gesehen, dort würde er überm Tisch hängen und seinen Rausch ausschlafen. Da machten sich ein paar von den kräftigeren Jungs zusammen mit dem Kinobetreiber auf, ihn zu holen, hievten ihn in eine Handkarre und zogen mit ihm mitten auf der Hauptstraße zum Kino. Dort schleppten sie ihn mit vereinten Kräften in den Vorführraum. Dann weckten sie ihn mit ein paar Ohrfeigen, schütteten ihm Wasser ins Gesicht und zwangen ihn, den Film zu zeigen.
    Blieben die Pforten des Kinos geschlossen, nutzte ich die freie Auswahl und erzählte einen mexikanischen Film, einen mit reichlich Liedern, weil das den Leuten am besten gefiel. Dann füllte sich unser Haus, dass mir kaum genug Platz zum Umdrehen blieb.
    Solche Vorstellungen, bei denen richtig viel Publikum kam, waren für mich die besten. Mein Vater meinte, ich hätte eine Art umgekehrtes Lampenfieber. Etwas wie »Lampenbegeisterung«, sagte er lachend. Und das stimmte auch. Je mehr Leute mir nämlich zuhörten und zusahen, desto besser erzählte ich den Film.
    Wie herrlich, wenn das Publikum nach meinen Erzählungen in Applaus ausbrach!
    Damals hatte ich schon angefangen, mich wie die Schauspielerinnen im Theater zu verabschieden, was ich natürlich nur aus Filmen kannte. Wenn ich geendet hatte und die Leute zu klatschen begannen, lief ich schnell nach nebenan, wartete dort einen Moment, atmete tief durch, kam dann wieder zurück und machte diese leichte Verbeugung, die ich so gern mochte.
    An manchen Abenden ließen die Leute mich bis zu dreimal wiederkommen.
    23
    Nach solchen Vorstellungen klang mir der Applaus die ganze Nacht in den Ohren, so dass ich manchmal gar nicht einschlafen konnte. Wenn ich dann wach lag, dachte ich an meine Mutter und weinte leise unter den Wolldecken. Genau wie mein Bruder zu stottern angefangen hatte, als sie weggegangen war, hatte ich den ganzen Kopf voll weißer Läuse bekommen. Die Nachbarinnen hatten gesagt, die Art Läuse käme vom Kummer. Und weil der Kummer wegen meiner Mutter war, fing ich an die Läuse zu essen, bloß aus Liebe zu ihr.
    So lieb hatte ich sie.
    So sehr vermisste ich sie.
    Wie stolz sie jetzt auf mich gewesen wäre, sagte ich mir, wenn sie sehen könnte, wie die Leute mir zuhörten und mir applaudierten!
    Ob sie nach ihren Tänzen wohl genauso viel Applaus bekam wie ich? Ob sie

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