Die Finsteren
Etwas, das er nicht richtig einzuordnen vermochte. Eine Assoziation, die jenseits der Grenzen seines bewussten Gedächtnisses schlummerte.
Drauf geschissen .
Später würde es ihm schon noch einfallen.
Er nickte in Richtung des Umschlags, den sie in ihren zierlichen Händen hielt. »Lass mich raten: einige deiner schmutzigen Bilder. Es gibt kaum etwas Schäbigeres als eine Erpresserin, das weißt du, oder?«
Sie kletterte von der Veranda, näherte sich ihm und blieb dicht vor ihm stehen. »Es muss nicht so weit kommen. Du kannst immer noch tun, was getan werden muss.«
Seine Miene verfinsterte sich. »Himmel, Arsch und Zwirn, ich bringe meine Frau nicht um und damit basta.« Er riss ihr das Kuvert aus den Fingern, die keinen Widerstand leisteten, und riss es auf. Sein Magen krampfte sich zusammen, als er die großen Schwarz-Weiß-Ausdrucke durchblätterte. »Oh mein Gott ...«
»Das sind nur Kopien, Norman. Ich habe noch andere, gut versteckt. Ich musste sie dir zeigen, damit dir klar wird, wie ernst es mir ist.«
Und wie klar es ihm wurde.
Klarer als nötig.
Dass er es tun würde, merkte er erst, als es bereits zu spät war. Er schlug einfach mit der Faust zu, traf sie an der Schläfe und ließ sie über die Lichtung taumeln. Nach wenigen Schritten kippte sie nach vorn und prallte mit der Stirn gegen die Seite des alten Buick. Das Geräusch, das ihr Schädel beim Zusammenstoß mit dem soliden Metall von sich gab, rief bei ihm Übelkeit hervor.
Und nun lag sie da.
Er versuchte, ruhig zu bleiben.
Es müsste eine Lösung für diesen Schlamassel geben.
Norman hob die Handtasche auf, die sie fallen gelassen hatte, öffnete den Verschluss und kramte darin herum. Er fand ihre Schlüssel auf Anhieb. Eine Idee begann, in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Es mochte riskant sein, aber er musste es tun. Für ihn stand zu viel auf dem Spiel. Er nahm sich vor, zurück in die Stadt zu fahren, sich mit den Schlüsseln Zugang zu Louellas kleinem Haus zu verschaffen, es penibel zu durchsuchen, jegliches Belastungsmaterial zu finden, das sie dort versteckt hielt, und es zu vernichten. Danach konnte er sich immer noch überlegen, was er mit Louella und ihrem Fiat Spider, der am Rand der Lichtung parkte, tat.
Louella stöhnte und streckte eine zitternde Hand nach ihm aus. Sie hob den Kopf und versuchte krampfhaft, sich aufzusetzen.
Norman verzog das Gesicht. »Nichts da, Schätzchen.«
Er suchte den Boden neben sich ab und fand einen Stein, der groß genug war, um in seine Faust zu passen. Mit einem Knie drückte er sie zurück und schlug mit dem Stein immer und immer wieder auf ihren Kopf ein.
Es spritzte wesentlich mehr Blut als zuvor.
Schließlich splitterte ihre Schädeldecke mit einem grässlichen Knirschen.
Louella Hollis war tot.
7
Es war Ende Oktober und die Luft draußen wurde um diese Zeit bereits etwas frostig. Derek McGregor zitterte und zog an seiner Zigarette, während er auf der obersten Stufe der Veranda des verlassenen Hauses saß. Er atmete aus und der Rauch stieg als Wolke in die Nachtluft auf. »Scheiße, ist das kalt.«
Seine Stimme klang auf der ansonsten menschenleeren Lichtung seltsam. Er sprach selten laut, wenn er alleine war. Geistig gesunde Menschen behielten ihre Gedanken für sich, wenn sie sich nicht in Gesellschaft anderer aufhielten. Daran glaubte er fest. Seine Mutter redete so oft mit sich selbst, dass er sie häufig belauschte, wenn sie glaubte, dass sich niemand in der Nähe befand. Und vieles, was sie von sich gab, klang schlicht und ergreifend verrückt. Als sie beispielsweise einmal einen Teller fallen ließ, fing sie an zu schreien und tobte vor sich hin: »DAS HAST DU MIT ABSICHT GEMACHT! ALS MÜSSTE ICH MICH HEUTE NICHT SCHON MIT GENUG SCHEISSE HERUMSCHLAGEN. DAS HAST DU VERDAMMT NOCH MAL GEPLANT! FICK DICH!«
Der Vorfall mit dem Teller hatte sich erst vor wenigen Tagen ereignet, am Sonntag. Derek hatte gerade nach einem nachmittäglichen Nickerchen sein Zimmer verlassen, um langsam in Socken die Treppe hinunterzulaufen. Als Suzie McGregors Wutausbruch aus der Küche explodierte, hielt er jäh inne.
Seine Mutter musste wahnsinnig sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Er hatte keine Ahnung, mit wem sie in solchen Momenten redete. Vielleicht mit Gott? Allerdings hatte sie dem Schöpfer nie besonders nahegestanden, jedenfalls nicht, soweit er sich zurückerinnerte. Es schien eher so zu sein, dass sie glaubte, von einer undefinierbaren kosmischen Kraft verfolgt zu werden,
Weitere Kostenlose Bücher