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Die Finsteren

Die Finsteren

Titel: Die Finsteren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bryan Smith
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die sich gegen sie verschworen hatte. Die konnte man als Gott bezeichnen, aber es mochte sich genauso gut um einen Dämon oder ein sonstiges bösartiges, übernatürliches Wesen handeln. Gottes Name fiel jedenfalls nie, wenn sie so ausrastete. Aber wie auch immer, Derek konnte damit leben, dass das Rätsel ungelöst blieb. Auf keinen Fall wollte er ihr Fragen zu der Angelegenheit stellen. Sie würde außer sich vor Zorn sein, falls ausgerechnet ihr eigener Sohn ihren Geisteszustand anzweifelte.
    Deshalb hatte er sich damals hastig zurückgezogen – umgedreht und begonnen, zurück in den ersten Stock zu steigen. Leider knarrte eine der Stufen zu laut.
    »Was zum Teufel machst du da?«
    Bei den Worten hätte sein Herz beinahe ausgesetzt. »N-nichts.«
    »Du hast mir nachspioniert, was? Komm hier runter! Sofort!«
    Derek gehorchte ihr. Immerhin war sie seine Mutter. Er lebte in ihrem Haus. Er setzte sich über die Stufen in Bewegung. Als er in Reichweite kam, packte sie ihn an den Haaren. Sie schleifte ihn in die Küche, stieß ihn auf einen Stuhl und befahl ihm, eine Hand flach auf den Tisch zu legen. Wieder gehorchte er und fing an zu weinen, als sie in die Speisekammer lief und mit einem glänzenden Bratenwender aus Metall zurückkehrte, den sein Vater im Sommer zum Wenden der Burger auf dem Grill benutzte. Seine Mutter drosch damit mehrfach auf seinen Handrücken ein, was ihn dazu brachte, schreiend um Gnade zu flehen. Sie selbst blieb stumm und schlug unerbittlich immer wieder zu. Nach rund 20 Hieben hörte er auf, mitzuzählen.
    »Wirst du mir noch mal nachspionieren?«
    »Nie wieder. Ich versprech’s!«
    »Tut es dir leid?«
    »Ja.«
    »Sag es!«
    »Es t-tut mir leid.«
    »Gut. Jetzt geh in dein Zimmer und komm bis morgen nicht mehr runter.«
    Derek war in sein Zimmer gegangen. Und dann durch das Fenster aus dem Haus geklettert. Den ganzen nächsten Tag blieb er verschwunden. Normalerweise kehrte er im Morgengrauen zurück, schlich sich durchs Fenster hinein und ging nach einer Dusche in frischen Kleidern nach unten. Dort gab er vor, die Nacht in seinem Bett geschlafen zu haben. Aber damals hatte er auf das Versteckspiel verzichtet und war erst bei Anbruch des übernächsten Tages zurückgekehrt. Er rechnete mit einer strengen Standpauke und Befragung, aber weder sein Vater noch seine Mutter verloren ein Wort über seine Abwesenheit. Allzu sehr überrascht hatte ihn das nicht, dafür schmerzte es heftiger als erwartet.
    Er war ihnen scheißegal.
    Noch etwas, das er mit den meisten seiner Freunde gemein hatte, so etwas wie ein gemeinsamer Nenner. Er dachte an das alte Sprichwort: Wo sich das Herz wohlfühlt, ist man daheim.
    Abgedroschen, aber wahr.
    Sein Zuhause, sein richtiges Zuhause, befand sich hier draußen in der Dunkelheit bei seinen Freunden, die ihm mehr als jeder Blutsverwandte wie seine Familie vorkamen. Wir sind die Finsteren, dachte er und kicherte. Es hatte als Scherz angefangen. Ein paar von ihnen hatten getrunken und Gras geraucht. Auch Mark und Natasha. Kevin. Fiona. Sie hingen die ganze Nacht zusammen ab und langsam wurde es Zeit, sich zu verabschieden. Als sich am Himmel die ersten Anzeichen der Morgendämmerung andeuteten, hatten sie sich alle ziemlich benebelt gefühlt. Es wurde lose über Musik und Filme geredet. Sie alle standen generell auf Horror und schrägen Scheiß. Dabei stellten sie scherzhaft fest, wie überaus finster sie doch waren. Es war Natasha, die schließlich mit tiefer, schauerlicher Stimme wie die Moderatorin einer billigen Late-Night-Horrorshow verkündete: »Wir ... sind ... die ... FINSTEREN.«
    Ein Witz, ja.
    Aber sie traf damit einen Nerv. Die Bezeichnung hatte sich gehalten.
    Derek drückte seine Zigarette aus, schüttelte eine neue aus der Packung und entfachte ein Streichholz. Er hielt die Flamme gerade an seine Kippe, als er das Knirschen von Stiefeln hörte, die am Rand der Lichtung über Zweige trampelten. Er schaute nicht sofort hin. Schließlich wusste er, um wen es sich handelte.
    Was gleich darauf bestätigt wurde, als ihm eine Stimme zurief: »Ist dir nicht arschkalt?«
    Derek zuckte mit den Schultern. Die Zigarette qualmte. »Ich bin unempfindlich gegen Kälte. Ich bin ein Supereskimo.«
    »Eskimos tragen Anoraks und ähnlichen Quatsch, wenn’s kalt ist, du Trottel, kein bescheuertes T-Shirt.«
    Derek blies eine Rauchwolke aus. »Du verstehst nichts von der aus grauer Vorzeit überlieferten Lebensart der weisen Supereskimos. Gib mir ein Bier.«
    Jared

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