Die Finsternis
drehte sich zu Pretty um. »Bist du das?«
Ich hatte wieder nichts gehört, doch diesmal war ich schon besser darauf eingestellt, sodass ich die Schwingungen zumindest gespürt hatte. Es war viel schwerer, sie in der Luft aufzufangen als im Wasser, aber sie waren definitiv da. Wie der tiefe Gesang der Wale. Zu tief für ein menschliches Ohr, aber man konnte die Vibration trotzdem spüren, wenn man genau aufpasste.
»Machst du irgendwelche Geräusche in besonders niedrigen Frequenzen?«
Er nickte. »So versetze ich die Menschen in eine Art Trance. Aber niemand, bei dem ich es versucht habe, hat jemals etwas gehört. Nicht einmal ich kann das.«
Gemma zuckte die Schultern. »Ich habe ein gutes Gehör.«
»Mehr als gut«, sagte ich und erinnerte mich daran, wie sie gehört hatte, dass Zoe in der Slicky auf uns zugesteuert war, obwohl wir über Wasser gewesen waren. »Und wenn du noch tiefer gehst?«, fragte ich Pretty.
»Das kann ich nicht. Und selbst wenn ich es könnte, so tiefe Frequenzen bringen deine Eingeweide, Trommelfelle oder Augäpfel zum Beben … bis du kotzen musst.«
»Dann lass das lieber«, sagte Gemma.
»Eigentlich müsste es völlig egal sein, dass du die Töne hören kannst«, meinte Pretty. »Dann ist es wie mit Trommeln oder Gesang. Du hörst die Geräusche zwar, aber sie können dich trotzdem in einen Dämmerzustand versetzen.«
»Und warum?«, fragte ich.
»Töne können deine Hirnströme beeinflussen«, sagte Eel, als sei das keine große Sache. »Das hat der Doc gesagt. Pretty ›regt die Theta-Gehirnwellen bei seinen Zuhörern an‹. So, als würde man gerade einschlafen.«
Pretty warf ihm bei der Erwähnung des Docs einen bösen Blick zu. Und ich konnte es ihm nicht verübeln. Wenn mir ein Arzt das Gehirn aufgeschnitten hätte, um herauszufinden, wie meine Dunkle Gabe funktioniert, wäre ich auch verbittert.
»Ist das der Grund, weshalb sich Menschen ruhiger fühlen, nachdem sie mit Delfinen geschwommen sind oder dem Gesang der Wale zugehört haben?«, fragte ich, denn ich wusste, dass es auf mich zutraf. »Wegen der tieffrequenten Geräusche, die sie machen?«
Pretty dachte darüber nach und wirkte ausnahmsweise sogar einmal interessiert. »Klingt logisch.«
»Nun hypnotisiere mich endlich«, meldete sich Gemma zu Wort.
Diesmal nahm ich die Ohrstöpsel an, als Eel sie mir hinhielt. Doch sowie Gemma in einen Trancezustand gefallen war, zog ich sie wieder heraus. »Bist du mit den Tönen fertig?«, fragte ich Pretty.
Er nickte und begann, in einer völlig normalen Stimmlage mit Gemma zu sprechen. Er sagte ihr, dass sie keine Geister mehr sehen werde. Dass sie nicht einmal wissen werde, dass sie da waren. Dass sie sie, egal in welcher Form, weder fühlen noch wahrnehmen werde. So machte er für etwa zehn Minuten weiter und brachte sie dazu, ihm alles nachzusprechen. Dann holte er sie aus der Trance zurück.
Natürlich wollte sie sofort das Ergebnis testen und eilte auf die Brücke, um Shade zu bitten, die Specter anzuhalten. Doch er lehnte das ab, denn er wollte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Skimmer der Meereswache bringen, die vermutlich ausgeschwärmt waren, um nach ihm zu suchen.
»Du kannst morgen Früh schwimmen gehen«, sagte er. »Zeig ihr deine Koje«, wandte er sich dann an Pretty. »Und halt die anderen von ihr fern.«
»Es ist sowieso besser, am Riff zu tauchen«, erklärte ich ihr, als wir die Brücke wieder verließen. »Im offenen Meer gibt es längst nicht so viel zu sehen.«
Sie nickte nur und lief mit Pretty davon.
»Ich bekomme nie die Jobs, die Spaß machen.« Eel seufzte. »Hey, wenn sie die Wahl zwischen mir und Pretty hätte, was glaubst du, für wen sie sich entscheiden würde?«
Das war genau die Art von Unterhaltung, die ich eigentlich nicht führen wollte. Ganz und gar nicht. »Er ist ein menschlicher Gefrierbrand und du bist ein Chaot.«
Er grinste. »Damit bin ich eindeutig im Vorteil, denkst du nicht?«
»Ich geh mich mal umsehen, falls das kein Problem ist«, wechselte ich das Thema.
»Sie ist eine echte Schönheit«, sagte er und klang völlig hingerissen.
»Gemma?«
»Die Specter. «
Ich machte einen kurzen Rundgang durch das U-Boot, kletterte aber nicht die Leiter zum zweiten Deck hinauf. Eel hatte mir erzählt, dass sich dort die Schlafkojen befanden, dass ich jedoch auf der gepolsterten Bank im Gemeinschaftsraum übernachten müsste.
Er hatte mir auch gesagt, dass ich mir im Ausrüstungsraum zwei
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