Die Finsternis
Kreis herumwirbeln, denn ich vermutete, dass ihm zuerst schwindlig werden würde oder er sich verausgabt hätte, bevor ich am Ende meiner Kräfte war. So ein Leichtgewicht war ich nun auch wieder nicht. Und er konnte mich auch nicht einfach so in die Luft heben. Er musste sein ganzes Körpergewicht einsetzen und taumelte dabei umher.
Während er sich zum zweiten Mal schwankend im Kreis drehte, bemerkte ich, dass wir uns auf den Rand des Bohrschachtes zubewegten – genau auf die Stelle, an der sich kein Geländer befand. Im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, dass ich nur eine Wahl hatte: die Waffe loszulassen oder in das Becken mit den Neunaugen geworfen zu werden. Doch ein Blick in Ratters verbissenes Gesicht genügte und ich wusste, dass es eine weitere Möglichkeit gab. Ich klammerte mich noch fester an die Harpune und ließ mich in das Becken schleudern. Und tatsächlich: Ratter weigerte sich hartnäckig, sein Ende der Waffe loszulassen. Als ihm bewusst wurde, dass er mit mir in die Tiefe stürzen würde, war es schon zu spät. Nur eine Sekunde nach mir klatschte er in die Wellen.
Unter Wasser ließ ich die Harpune los und sie versank. Ratter musste seinen Griff ebenfalls gelöst haben. Doch schon hatte ich ein anderes Problem, denn mit einem Schlag war ich von lauter Neunaugen umgeben. Ich bedeckte mein Gesicht mit den Armen und wollte mit ein paar kräftigen Beinstößen wegschwimmen, doch ich konnte nirgendwo hin. Die Neunaugen waren überall, schlängelten auf der Suche nach nackter Haut an meiner Kleidung entlang. Nutze deine Dunkle Gabe als Waffe , rief eine Stimme in meinem Kopf.
Ich sandte sofort mehrere Klicks aus, doch die Neunaugen wurden nur noch mehr angestachelt.
Verstärke sie .
Diesmal stieß ich den tiefsten Ton aus, den ich erzeugen konnte, und augenblicklich erstarrte alles um mich herum. Ich schlug die erschlafften Viecher vor meinem Gesicht zur Seite und strampelte in Richtung Wasseroberfläche. Es funktionierte! Ich hatte die Neunaugen betäubt, genau, wie es ein Delfin mit seiner Beute tat. Warum hatte ich das nicht schon eher versucht?
Ich tauchte gerade lange genug auf, um meine Lunge mit Sauerstoff zu füllen. Ein paar Meter entfernt paddelte Ratter in Richtung Beckenrand. Ohne ihn auf mich aufmerksam zu machen, tauchte ich wieder unter und schwamm zwischen den dahintreibenden Neunaugen hindurch.
Ich stieß mehrere Klicks aus, die mir verrieten, wo sich das Netz befand, das um die Stelzen der Stadt gewickelt war. Es war nicht weit entfernt. Über mir hievte Ratter sich aus dem Becken.
Ich zog mein Tauchermesser hervor und stach in das engmaschige Netz. Die Klinge schnitt fast ungehindert durch das geflochtene Metall. Zum Glück war es kein Titan. Die Kälte nagte an meiner Haut. Ich beeilte mich, ein Loch in das Netz zu schlitzten, das groß genug war, damit ich mich hindurchschlängeln konnte. Hätte ich doch nur meinen Taucheranzug angehabt.
Als ich gerade durch das Netz geschlüpft war, strömten die Neunaugen hinter mir durch das Loch und umschwärmten mich. Sie waren aus ihrer Starre erwacht und griffen erneut an. In meinem Nacken und hinter den Ohren breiteten sich Schmerzen aus, denn jetzt bohrten sich die Viecher in meine Haut. Ich versuchte noch einmal, sie mit meinem Biosonar zu bekämpfen, doch diejenigen, die sich bereits festgesaugt hatten, ließen nicht mehr los. Inzwischen tat auch meine Lunge weh, denn ich brauchte dringend Luft zum Atmen. Völlig benommen schwamm ich auf den Rand der Plattform zu. Ich fragte mich, wo Shade und Gemma waren. Hatten sie es bis ins U-Boot geschafft?
Verzweifelt darum bemüht, unter der Ölplattform hindurchzuschwimmen, erhöhte ich meine Geschwindigkeit. Ich unterbrach meine Schwimmzüge nicht einmal, um die Neunaugen von mir abzusammeln, obwohl ihre Bisse höllisch wehtaten und ihre dicken, weichen Körper beim Schwimmen gegen meine Brust schlugen.
Es pfiff in meinen Ohren und meine Trommelfelle pochten. Ich schwamm mit aller Kraft, doch ich kam kaum voran. Plötzlich wurde ich von Todesangst ergriffen, denn mir wurde bewusst, dass mich eine starke Strömung unter der Stadt gefangen hielt. Ich tauchte tiefer, um dem Widerstand zu entgehen, musste aber feststellen, dass die Unterströmung in der Nähe des Meeresbodens noch stärker war. Und zwar so stark, dass ich jetzt fast auf der Stelle schwamm. Meine Kräfte ließen nach. Ich war kurz davor, ohnmächtig zu werden. Nur die Angst hielt mich bei Bewusstsein.
Die Neunaugen,
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