Die Flamme erlischt
völlig verloren. Er ging trotz allem von der Annahme aus, Bretan Braith würde zurückkehren und ihm die Ritterlichkeiten des Kodexes gestatten. Vikary hatte zwar im Duell eine unglaubliche Erfahrung, und sein täglicher Drill brachte ihn in bestmögliche Form, aber mit fortschreitender Zeit bezweifelte Dirk immer mehr, daß er im Zweikampf mit Bretan bestehen könnte.
Dirks Schlaf wurde von immer wiederkehrenden Alpträumen gestört, in denen der halbgesichtige Braith auftauchte, Bretan mit der fremdartigen Stimme, dem glühenden Auge und dem grotesken Zucken. Der schlanke, sanftwangige und unschuldige Bretan, Bretan der Städtezerstörer. Schweißnaß, erschöpft und in seine Laken verheddert, pflegte Dirk aus jenen Träumen aufzuwachen, Gwens Schreie (hoch und schrill wie die Klagegesänge von Kryne Lamiya) und Bretans gnadenloses Starren noch frisch in Erinnerung. Er konnte diese Visionen nur durch Jaan bannen, und Jaan war jetzt in einen müden Fatalismus verfallen, obwohl er seine täglichen Übungen vollzog.
Es war Janaceks Tod, sagte sich Dirk – mehr noch, die Umstände, die zu seinem Tod führten. Wäre Garse auf normalere Weise gestorben: Jaan wäre ein wütenderer, leidenschaftlicherer und unüberwindlicherer Rächer gewesen als Myrik und Bretan zusammen. So wie die Dinge standen, war Jaan jedoch davon überzeugt, daß ihn sein teyn verraten und wie ein Tier oder Spottmenschen gejagt hatte. Diese Überzeugung zerstörte ihn. Mehr als einmal hatte Dirk in dem kleinen Wachraum den Drang verspürt, Vikary die Wahrheit zu sagen, auf ihn zuzurennen und zu schreien Nein, nein! Garse war unschuldig, Garse liebte Sie, Garse wäre für Sie in den Tod gegangen! Aber er sagte nichts. Wenn Vikary auf diese Weise langsam starb, wenn ihn seine Melancholie, das Gefühl, betrogen worden zu sein, und sein absoluter Glaubensverlust auffraß wieviel schneller würde ihn dann erst die Wahrheit umbringen. So vergingen die Tage, und die Risse klafften immer weiter auf. Dirk betrachtete seine drei Begleiter mit wachsender Besorgnis. Währenddessen wartete Ruark auf die Flucht, Gwen auf die Rache und Jaan Vikary auf den Tod.
15
Am ersten Wachtag regnete es den ganzen Nachmittag. Am Morgen hatten sich die Wolken im Osten aufgetürmt, waren immer dicker und drohender geworden. Fetter Satan und seine Kinder wurden von dunklen Wattebergen verdeckt, so daß der Tag noch düsterer als gewöhnlich wirkte. Gegen Mittag brach der Sturm los. Er kam einem Orkan nahe. Draußen orgelte der Wind so laut vorbei, daß der Wachturm zu wackeln schien, während braune Sturzbäche durch die Straßen schossen und Glühsteingullys zum Überlaufen brachten. Als die Sonnen endlich durch die Wolkendecke brachen – sie waren schon fast wieder am Untergehen –, glitzerte Larteyn. Mauern und Gebäude glänzten vor Nässe und sahen sauberer aus, als Dirk sie je gesehen hatte. Die Feuerfeste schien Hoffnung auszustrahlen. Aber das war nur am ersten Tag der Wache.
Am zweiten Tag ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Das Höllenauge zog seinen langsamen, roten Pfad über den Himmel, Larteyn glühte schwarz und düster unter ihm, und der Wind brachte den Staub aus dem Freigelände zurück, den der Regen am Vortage weggewaschen hatte. In der Abenddämmerung machte Dirk einen Gleiter aus. Er tauchte als schwarzes Pünktchen hoch über den Bergen auf und flog ein Stück in das Freigelände hinaus, bevor er abdrehte und sich mit Kurs auf Larteyn hinabschraubte. Dirk hatte die Ellbogen auf den Steinsims des schmalen Fensters gestützt und beobachtete den Luftwagen angestrengt durch das Fernglas. Er kannte den Gleiter nicht. Es war eine stilisierte Fledermaus mit breiten Schwingen und enormen Scheinwerferaugen. Vikary teilte die Wache mit Dirk, der ihn zum Fenster rief. Jaan zeigte sich gelangweilt. »Ja, ich kenne den Flugwagen«, sagte er. »Es sind nur die Jäger vom Shanagate-Trutz. Sie sind für uns ohne Bedeutung. Gwen hat sie heute morgen wegfliegen sehen.« Der Gleiter war nun zwischen den Gebäuden Larteyns verschwunden.
Vikary ging zu seinem Stuhl zurück und überließ Dirk seinen Gedanken.
In den Tagen danach sah er die Shanagates noch mehrere Male. Nie verloren sie ihr unwirklich erscheinendes Äußeres. Merkwürdig, wie sie, unberührt von allem, was geschehen war, kamen und gingen, wie sie ihr Leben lebten, als ob Larteyn noch die friedliche, sterbende Stadt sei und niemand in ihr umgekommen wäre. Sie waren allem so nahe und doch
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