Die Flamme erlischt
einen Wolfmenschenfreund auf Avalon kann er Jaan Vikary sein. Hoch-Eisenjade mag er in den Ratssitzungen der Versammlung heißen und dennoch Riv bei tiefer Hingabe sein. Wolf ist er im Hochkrieg. Und noch einen anderen Namen hat er im Bett, einen Kosenamen. Das hat schon seine Richtigkeit, weil all jene Namen ihn bezeichnen. Ich erkenne das an. Manche Namen ziehe ich anderen vor, so wie ich Jaan lieber habe als Wolf oder Hoch-Eisenjade – aber sie treffen alle auf ihn zu. Die Kavalaren haben ein Sprichwort, wonach ein Mann die Summe seiner Namen ist. Namen sind überall wichtig, aber die Kavalaren wissen von dieser Wahrheit mehr als die meisten anderen. Ein Ding ohne Namen hat keine Substanz. Würde es existieren, hätte es auch einen Namen. Oder andersherum gesagt, falls man einem Ding irgendwie, auf irgendeine Art einen Namen gibt, wird dieses benannte Ding existieren und in Erscheinung treten. Das ist eine andere Weisheit der Kavalaren. Verstehst du das, Dirk?« »Nein.«
Sie lachte. »Du bist so begriffsstutzig wie immer. Hör gut zu. Als Jaan nach Avalon kam, hieß er Jaantony Eisenjade Vikary. Das war sein Name, sein ganzer Name. Der wichtigste Teil davon waren die ersten beiden Wörter – Jaantony ist sein wirklicher Name, sein Geburtsname, und Eisenjade ist der seines Festhalts und seiner Allianz. Vikary ist ein angenommener Name, den er während der Pubertät empfing. Alle Kavalaren geben sich solche Namen, gewöhnlich sind es die von Hochleibeigenen, die sie bewundern, oder mythische Gestalten, persönliche Helden. Auf diese Weise haben viele Nachnamen von Alt-Erde überlebt. Dahinter steckt folgender Gedanke: Wenn ein Junge sich den Namen eines Helden gibt, gehen einige der Qualitäten dieses Mannes auf ihn über. Auf Hoch Kavalaan scheint das tatsächlich zu funktionieren. Jaans gewählter Name, Vikary, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Er klingt wie ein überliefertes Überbleibsel von Alt-Erde. Das ist er aber nicht. Zieht man alles in Betracht, dann war Jaan ein seltsames Kind – verträumt, äußerst launisch, zu sehr verinnerlicht. Als er noch ganz klein war, lauschte er den Gesängen und Geschichten der eynkethi, was für einen kavalarischen Jungen sehr schlimm ist. Die eyn-kethi sind die Gebärfrauen, die ewigen Mütter des Festhalts, und von einem normalen Kind erwartet man, daß es nicht mehr mit ihnen zu tun hat, als unbedingt nötig ist. Als Jaan älter wurde, verbrachte er den Großteil seiner Freizeit allein. In den Bergen, in Sicherheit vor seinen Festhaltbrüdern, erforschte er Höhlen und stillgelegte Minen. Ich laste ihm das nicht an. Er war immer das Ziel von Spott und unfreundlichen Hänseleien – bis er auf Garse traf. Der ist erheblich jünger, und dennoch wurde er in den späteren Stadien von Jaans Kindheit zu dessen Beschützer. Schließlich änderte sich das alles. Als Jaan in das Alter kam, wo er sich dem Duellkodex zu unterwerfen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den Waffen zu und beherrschte alle nach kurzer Zeit. Er ist wirklich phantastisch darin, heute ist er ungeheuer schnell und ein gefährlicher Gegner, sogar noch besser als Garse, dessen Geschicklichkeit hauptsächlich auf Instinkt beruht.
Es war jedoch nicht immer so. Wie dem auch sei, als die Zeit für Jaantony kam, sich einen Namen zu wählen, hatte er zwei große Helden. Aber keinen der beiden wollte er den Hochleibeigenen nennen. Keiner von beiden war ein Eisenjade, schlimmer noch, sie waren beide Halb-Pariahs, Schurken aus der kavalarischen Geschichte, charismatische Führerpersönlichkeiten, die ihren Kampf verloren hatten und deren Namen Generationen lang abfällig gebraucht wurden. Deshalb faßte Jaan die beiden Namen zu einem zusammen und stellte die Silben so lange um, bis sich dieser wie ein alter, von der Erde importierter Familienname anhörte. Die Hochleibeigenen akzeptierten ihn, ohne darüber nachzudenken. Es handelte sich schließlich nur um seinen Wahlnahmen, den unwichtigsten Teil seiner Identität. Der Teil, der zuletzt kommt.« Sie runzelte die Stirn. »Und das ist der Sinn dieser Geschichte. Jaantony Eisenjade Vikary kam nach Avalen, und dort war er zuerst Jaantony Eisenjade. Nun ist Avalon eine Welt, die sehr stark auf Nachnamen achtet. Die Folge davon war, daß man ihn dort in erster Linie Vikary nannte. Die Akademie registrierte ihn unter diesem Namen, seine Lehrer sprachen ihn so an. Kurz und gut, er mußte zwei Jahre mit diesem Namen leben. Schon bald hieß er nicht mehr nur
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