Die Flamme erlischt
seinen Körper heran. Schneller werdend, schwamm er höher. Leere Balkonreihen glitten vorbei: eine Etage, zwei, fünf. Früher oder später würde er zu sinken beginnen und eine langsam absteigende Kurve in die grau verhüllte Ferne hinein beschreiben. Aber er würde kaum Zeit zum Fallen haben. Die andere Seite des Zentralschachts war nur dreißig Meter entfernt, ein einfacher Sprung durch die papierdünnen Ketten der hier herrschenden Minischwerkraft.
Schließlich kam die konkave Wand näher, und er prallte, sich überschlagend und grotesk aufwärtstaumelnd, vom schwarzen Eisengeländer ab, bevor er eine Strebe des Balkons darüber zu fassen bekam. Er hatte den Zentralschacht durchquert und elf Stockwerke Höhe gewonnen. Lächelnd und merkwürdig angeregt, setzte er sich und sammelte Kraft für einen zweiten Sprung, während er beobachtete, wie Gwen es ihm nachtat. Sie flog wie ein seltsamer, aber anmutiger Vogel. Ihr Haar schimmerte wie schwarze Seide hinter ihr, als sie dahinschwebte und ihn um zwei Stockwerke schlug. Als er die 520. Etage erreichte, hatte Dirk überall am Körper Prellungen, weil er so oft gegen die eisernen Geländer gestoßen war. Dennoch fühlte er sich recht gut. Am Ende seines sechsten schwindelerregenden Sprunges über die gähnende Tiefe hinweg hätte er sich beinahe geweigert, den Zielbalkon zu betreten und zur normalen Schwerkraft zurückzukehren. Gwen wartete schon auf ihn. Den Sensorenkoffer und die Geländeausrüstung hatte sie auf den Rücken geschnallt. Sie gab ihm die Hand und half ihm über das Geländer. Dann gingen sie hinaus auf den breiten Korridor, der den Zentralschacht umrundete. An Kreuzungen, wo lange, gerade Passagen wie die Speichen eines großen Rades vom Stadtkern fortführten, schienen Leuchtkugeln im nun schon vertrauten trüben Blau. Willkürlich wählten sie eine der Abzweigungen und begannen schnell auf den äußeren Rand der Stadt zuzugehen. Der Weg war länger, als Dirk es für möglich gehalten hätte, und führte an zahlreichen anderen Schnittpunkten vorbei. Bei vierzig hörte er zu zählen auf. Alle glichen wie ein Ei dem anderen. Es ging vorbei an schwarzen Türen, die sich nur durch ihre Nummerierung unterschieden. Weder er noch Gwen sprachen. Das gute Gefühl, das Dirk während der Ekstasen des schwerelosen Fluges überkommen hatte, verließ ihn auf dem Weg durch die trübe Finsternis so schnell, wie es gekommen war. Schwache Anzeichen von Furcht regten sich in ihm. Seine Ohren gaukelten ihm Phantomgeräusche vor, leises Geheul und gedämpfte Schritte von Verfolgern, seine Augen ließen aus den weiter entfernten Kugellampen fremdartige, schreckliche Gestalten wachsen und glaubten in jeder Kobaltdecke bedrohliche Schatten auszumachen. Aber sie trafen auf nichts. Es waren nur seine Sinne, die ihm diese Streiche spielten.
Doch die Braiths waren hiergewesen. Nahe am äußeren Rand von Challenge, dort, wo der Diagonalgang auf den Boulevard stieß, fanden sie einen der ballonbereiften Wagen, in denen die Stimme ihre Gäste spazieren zu fahren pflegte. Er war leer und lag umgekippt zur einen Hälfte auf dem blauen Teppichboden, zur anderen Hälfte auf dem glatten, kalten Kunststoff, mit dem der Boulevard säuberlich überzogen war. Als sie ihn erreichten, hielten sie an. Gwen sah Dirk ohne Kommentar in die Augen. Wenn er sich recht erinnerte, hatten diese Wagen keine Handsteuerung, sondern wurden ferngesteuert. Und hier lag einer bewegungslos auf der Seite. Er bemerkte noch etwas anderes. Neben dem einen Hinterrad befand sich eine nasse, übelriechende Stelle auf dem blauen Teppichboden ... »Komm schon«, flüsterte Gwen. In der Hoffnung, daß die Braiths, die sich vor kurzem hier aufgehalten hatten, außer Hörweite waren, überquerten sie den verlassenen Boulevard. Luftschleuse und Gleiter waren nun in unmittelbarer Nähe. Nur eine grausame Ironie des Schicksals konnte sie so kurz vor dem Ziele noch scheitern lassen. Aber Dirk kam es vor, als hallten ihre Schritte schrecklich laut auf der nackten Oberfläche des Boulevards. Mit Sicherheit hörte man sie überall in dem riesigen Gebäude. Selbst Bretan Braith im tiefsten Keller, Kilometer unter ihnen, würden die Schritte nicht verborgen bleiben. Als sie den Fußgängerüberweg erreichten, der die stillgelegten Gleitbänder überbrückte, begannen beide zu rennen. Dirk war sich nicht sicher, ob er plötzlich losgestürmt war. Eben gingen sie noch nebeneinander und versuchten, so schnell wie möglich
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