Die Flamme von Pharos
reden.
Im ersten Augenblick hatte Sarah gedacht, dass die Soldaten das Feuer eröffnen und sie alle ohne langes Federlesen töten würden, aber das war nicht geschehen. Stattdessen waren sie gefangen genommen und in den Wagen gesteckt worden, der bereits am Rand des Ruinenfeldes gewartet hatte – ein weiteres Indiz dafür, dass die Soldaten gut informiert gewesen waren … Aber von wem?
»Wohin bringen die uns?«, raunte Hingis Sarah zu, während es über eine steile Treppe ging, die in eine unergründliche, von Fackeln nur spärlich beleuchtete Tiefe führte.
»Ich weiß es nicht«, gab Sarah offen zu.
»Sie hätten schießen sollen, als Sie die Gelegenheit hatten.«
»Dann wären wir jetzt tot.«
Ein bitteres Lachen entrang sich Hingis’ Kehle. »Das sind wir doch ohnehin, oder etwa nicht?«
Sarah erwiderte nichts darauf. Auch sie wusste nicht, welches Schicksal sie erwartete, aber tatsächlich sah es ziemlich düster für sie aus. Seit sie nach Alexandria gekommen waren, hatte sich kaum etwas so entwickelt, wie Sarah es geplant hatte. Nun befanden sie sich in der Hand des Feindes und hatten noch nicht einmal herausgefunden, was mit ihrem Vater geschehen war.
Sarah gestand sich nicht gerne ein, dass die Expedition von Anfang an ein Fehlschlag gewesen war. Sie hätte auf die Zeichen der Zeit hören und umkehren sollen, damals, als sie noch Gelegenheit dazu gehabt hatte. Warnungen hatte es bei Gott gegeben, und sie waren deutlich genug ausgefallen, zunächst auf dem Montmartre, dann in jener düsteren Gruft auf Fifla, schließlich an Bord des Submarins.
Aber Sarah hatte sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen, hatte es unnachgiebig weiter verfolgt – und damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern wohl auch das ihrer Gefährten verwirkt. Es tröstete sie nicht, dass sowohl du Gard als auch Friedrich Hingis und Ali Bey ihr aus freien Stücken gefolgt waren. Mehr als je zuvor in ihrem Leben fühlte Sarah Verantwortung, nicht nur für sich selbst oder ihren Vater, sondern auch für jene, die ihr vertrauten …
Längst wurde der Treppenschacht zu beiden Seiten nicht mehr von Mauern begrenzt, sondern von massivem Fels, in den der Gang getrieben worden war. Klamme Kälte schlug Sarah und ihren Gefährten entgegen und ließ sie frösteln, modriger Geruch erfüllte die Luft.
Endlich endete die Treppe und ging in einen langen Stollen über, der von mehreren Quergängen gekreuzt wurde. Hier und dort standen Wasserpfützen auf dem Boden, in denen sich der Schein der Fackeln spiegelte. Am Ende des Stollens gab es eine eiserne Gittertür. Dorthin führte man die Gefangenen.
Ein dicklicher Soldat, dessen weiße Uniformjacke sich über seinem Wanst spannte, hielt vor der Tür Wache. Hastig erhob er sich von dem Schemel, auf dem er dösend gehockt hatte, als er seine Kameraden kommen sah. Der Sergeant, der den Gefangenentrupp anführte, wies ihn an, die Jacke straff zu ziehen und den Fes, der seitlich auf seinem kugelrunden Kopf saß, gerade zu rücken. Dann forderte er ihn auf, die Tür zu öffnen. Mit vorgehaltenen Bajonetten wurden Sarah und ihre Begleiter in das modrige Dunkel gedrängt, das jenseits des Gitters herrschte.
»Alors, das dürfte Ihre Frage beantworten, Doktor«, sagte du Gard zu Hingis. »Man hat uns in den verdammten Kerker gesteckt.«
Leider war dies nur zu wahr.
Das Felsengewölbe, das sich vor ihnen erstreckte und dessen Höhe kaum ausreichte, um aufrecht darin zu stehen, war unverkennbar das Verlies des Forts – und Sarah und ihre Gefährten waren dort keineswegs allein. Je mehr ihre Augen sich an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnten, desto deutlicher waren hier und dort hohlwangige Gestalten zu erkennen, in Lumpen gehüllt und abgemagert bis auf die Knochen, mit langem Haar und wuchernden Bärten in den Gesichtern. Wie lange diese armen Kerle bereits festgehalten wurden, war unmöglich zu sagen. Einige von ihnen waren an die nackte Felswand gekettet, andere kauerten am Boden und starrten apathisch vor sich hin, jeder Lebenswille schien aus ihnen gewichen. Wasser rann hier und dort an den Wänden herab, es stank nach Exkrementen.
»Das ist unerhört«, ereiferte sich Friedrich Hingis lauthals. »Ich bin Schweizer Staatsbürger und verlange eine faire Behandlung. Dies hier ist völlig inakzeptabel.«
»Bien sûr, c’est vrai«, räumte du Gard ein, »ich vermute nur, dass man auf Ihre Proteste nicht viel geben wird. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten – dort
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