Die Flamme von Pharos
Hingis. »Er ist ein Verräter, der uns allesamt ans Messer liefern will.«
Sarah sandte dem Alexandriner, der sie aus großen Augen ansah, einen prüfenden Blick. »Das glaube ich nicht«, sagte sie dann. »Er hat uns hierher geführt, und er wird uns auch wieder von hier fortbringen, richtig?«
»Ich werde tun, was ich kann.« Ali Bey lächelte.
»Was immer Sie tun, tun Sie es schnell«, drängte du Gard. »Diese unerfreulichen messieurs kommen nämlich immer näher, und sie sehen nicht so aus, als wären sie zu Späßen aufgelegt.«
»Sicher nicht.« Der Händler schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns verstecken. Am besten in der Grube, die Ihre Leute ausgehoben haben.«
»Sind Sie verrückt?«, ereiferte sich Hingis. »Dort sitzen wir doch erst recht in der Falle.«
»Nur, wenn sie uns finden«, entgegnete Ali Bey rätselhaft, und Sarah beschloss, seinem Plan zu folgen. Zurück konnten sie nicht, weil sie den Soldaten dann direkt in die Arme gelaufen wären, und nach den Seiten gab es ebenfalls kein Entkommen, da es freies Feld zu überqueren galt, auf dem sie sowohl den Blicken als auch den Kugeln der Soldaten schutzlos ausgeliefert gewesen wären.
Es blieb also nur die Flucht nach vorn.
Im eigentlichen Sinn des Wortes …
Ali Bey übernahm die Führung. In gebückter Haltung huschte er davon, an zerstörten Zelten und grässlich entstellten Leichen vorbei, die allenthalben im Sand lagen und von denen viele keine Briten, sondern Einheimische waren. Wer mit dem Feind kollaborierte, schien von den Fanatikern tatsächlich keine Gnade erwarten zu können.
Sie erreichten den Rand des Lagers, wo der auf hölzernen Pfeilern errichtete Flaschenzug aufragte, samt der grausigen Staffage, die an ihm hing. Die Hitze und die Krähen hatten ganze Arbeit geleistet, sodass eine bleiche Schädelfratze auf Sarah und ihre Gefährten starrte.
»Dort hinab«, raunte Ali Bey ihnen zu, und über die Leitern, die am Rand des Ausgrabungsschachtes lehnten, stiegen sie hinab. Dabei erheischte Sarah einen letzten Blick auf die Soldaten, die bereits ein gutes Stück näher waren.
Die Zeit drängte …
Hinter ihren männlichen Begleitern kletterte sie in die Tiefe. Die Wände der Ausschachtung wurden von einer provisorischen hölzernen Konstruktion gestützt, die hier und dort den Kampf gegen den Sand bereits verloren hatte.
Das Ausmaß der Grabung nötigte Sarah Anerkennung ab. Dafür, dass ihr Vater und seine Leute nur rund einen Monat Zeit gehabt hatten, hatten sie Erstaunliches geleistet. In rund acht Fuß Tiefe war eine Fläche von zehn Yards Länge und vier Yards Breite freigelegt worden, samt den Ruinen, die vom Sand verschüttet gewesen waren. Das Erste, was Sarah ins Auge fiel, war eine Statue, die sich inmitten der Grube erhob und die erst zur Hälfte freigelegt worden war, sich jedoch in außergewöhnlich gutem Zustand befand.
»Der Kopfform sowie den stilistischen Merkmalen nach, könnte es sich um eine Darstellung von Ramses II. handeln«, stellte Hingis fest, der über seinem fachlichen Interesse für einen Moment die Furcht vor den Soldaten vergaß. »Allerdings sehe ich nicht, was sein Bildnis in der Hochburg der Ptolemäer zu suchen haben sollte …«
»Es ist Ramses«, meinte Sarah mit Nachdruck, »daran besteht nicht der geringste Zweifel.«
»Pourqoui?«, fragte du Gard.
»Erinnerst du dich an Francine Recassins Abschiedsworte? Sie sagte, dass Ozymandias die Antwort auf unsere Fragen kenne – und Ozymandias ist, wie ich bereits erklärte, nichts weiter als der griechische Name für …«
»… Ramses II.«, vervollständigte du Gard verblüfft. »Und du glaubst, dass …?«
»Ich weiß, dass es einen Zusammenhang gibt«, unterbrach Sarah vehement, »aber mir ist noch nicht klar, worin er besteht.«
»Wir sollten uns beeilen, Lady Kincaid, sonst kann es sein, dass wir es niemals herausfinden werden«, brachte Ali Bey in Erinnerung. Die Nähe der Soldaten schien ihren Führer zunehmend nervös zu machen. »Wenn wir nicht rasch verschwinden, werden Arabis Schergen uns verhaften und dem Henker vorführen.«
»Schön, und wohin sollen wir?«, knurrte Hingis. »Sie haben uns in diese Sackgasse geführt, also sagen Sie uns gefälligst …«
»Dort entlang«, sagte Ali Bey nur und eilte einmal mehr voraus, auf die andere Seite der Statue, die sich wie ein Denkmal inmitten der Grube erhob. Jenseits der steinernen Figur bohrte sich ein weiterer Schacht noch tiefer in den Sand. Sein Ende war in der
Weitere Kostenlose Bücher