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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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möglich?
    Konnte es wirklich sein?
    Hatte du Gard tatsächlich in ihren Gedanken gelesen?
    Natürlich nicht, es handelte sich um puren Zufall, nichts weiter. Allerdings um einen der besonders frappierenden Sorte, das musste selbst Sarah eingestehen …
    »Sie kommen von weit her«, fuhr du Gard fort. »Aus einer Stadt, die in Nebeln verborgen ist …«
    »Sehr gut«, erkannte sie spöttisch an, nun schon wieder ein wenig ruhiger. »Allerdings muss man kein Wahrsager sein, um meinen britischen Akzent zu bemerken.«
    »Richtig«, räumte du Gard ungerührt ein, während er sich weiter zu konzentrieren schien. »Sie sind nach Paris gekommen, um jemanden in einer dringlichen Angelegenheit zu vertreten … Jemanden, der Ihnen nahe steht … sehr nahe.«
    »D-das stimmt.« Sarah kam nicht umhin, verblüfft zu bejahen.
    »Es ist jemand, den Sie sehr lieben. Jemand, an dem Ihr Herz mehr hängt als an jedem anderen Menschen auf dieser Welt. Mesdames et Messieurs, befinden wir uns etwa auf der Spur eines gut gehüteten Geheimnisses? Sollte diese junge Engländerin nach Frankreich gekommen sein, um ihren heimlichen Geliebten zu treffen?«
    Gegen derlei Spekulationen wollte Sarah entschieden Einspruch erheben, aber der abermals anschwellende Trommelwirbel und die erneuten »Aaahs« und »Ooohs« der Zuschauer ließen sie nicht zu Wort kommen. Knisternde Spannung lag in der Luft, die sich aus unverhohlenem Voyeurismus nährte. Jeder schien dabei sein zu wollen, wenn eine junge Frau aus offenbar gutem Hause, noch dazu eine Engländerin, öffentlich zum Flittchen deklariert wurde.
    »Mais non!«, gab du Gard in diesem Augenblick zu aller Enttäuschung kund. »Ich habe mich geirrt! Es ist ihr Vater, den diese junge Frau mehr als alles andere auf der Welt liebt und dessentwegen sie nach Paris gekommen ist. Applaus, Messieurdames, für diese tugendhafte junge Dame …«
    Du Gard verstand sein Publikum meisterlich zu lenken. Waren die Zuschauer eben noch enttäuscht darüber gewesen, dass an diesem Abend kein Skandal ans Licht kommen würde, reagierten sie jetzt mit Erleichterung und klatschten artig Beifall, der sich noch verstärkte, als du Gard sich vor Sarah galant verbeugte und sie mit Handkuss und zuckersüßem Lächeln entließ.
    Der Saal tobte und verlangte nach Zugaben, die du Gard bereitwillig gewährte. Einmal mehr waren die Besucher des »Miroir Brisé« begeistert und würden nur Gutes über das Theater an der Rue Lepic zu berichten wissen.
    Anders als Sarah Kincaid.
    War die Vorstellung erst vorüber, hatte sie noch eine Rechnung zu begleichen – mit einem angeblichen Wahrsager namens Maurice du Gard …

4
    Die Schlussmusik, zu deren Klängen die begeisterten Zuschauer den Theatersaal verließen, war noch nicht verklungen, als sich Sarah Kincaid bereits auf dem Weg hinter die Bühne befand.
    Einen Bediensteten, der sie aufhalten wollte, rempelte sie wenig damenhaft zur Seite und stand im nächsten Moment vor einer Tür, die du Gards Namen trug. Ohne einen Augenblick zu zögern, drückte Sarah die Klinke und platzte in die Garderobe, schnaubend vor Wut.
    Im ersten Augenblick – sah sie gar nichts.
    Glitzernde Vorhänge hingen von der Decke und versperrten ihr die Sicht, und Sarah brauchte einen Augenblick, um darauf zu kommen, dass es gar keine Vorhänge waren, sondern Mäntel wie der, den du Gard auf der Bühne getragen hatte: Umhänge aus rot, blau, silber und grün glitzerndem Stoff, die, wie Sarah fand, einen betrügerischen Gecken wie du Gard geradezu perfekt bekleideten.
    Wütend wühlte sie sich durch das Labyrinth der Kleider und gelangte so in die eigentliche Garderobe, einen Raum, der kleiner war, als sie angenommen hatte und in dem sie das Objekt ihres Zorns vor einem großen Spiegel sitzen und sich die Theaterschminke aus dem Gesicht wischen sah. Sarah musste zugeben, dass du Gard ungeschminkt nicht ganz so geckenhaft wirkte wie auf der Bühne. Tatsächlich besaßen seine Züge sogar etwas Edles, Anmutiges, das Sarah in diesem Moment allerdings nicht sehen wollte. Schon viel eher stach ihr die schlanke Flasche ins Auge, die entkorkt auf dem Schminktisch stand und in der eine giftig grüne Flüssigkeit schimmerte …
    »Was fällt Ihnen ein?«, fuhr sie du Gard grußlos an. »Wie können Sie es wagen, mich vor all diesen Menschen dort draußen derart bloßzustellen?«
    Wenn du Gard überrascht war, so zeigte er es nicht. Weder erhob er sich, noch würdigte er sie eines Blickes, während er bedächtig den

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