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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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dass er unbewaffnet war. In den Sehschlitzen seiner Maske funkelte es feucht.
    »Wer bist du, und was willst du hier?«, blaffte der Wächter. »Die Maskerade herunter, sofort!«
    Der Vermummte zögerte. Wie zur Salzsäule erstarrt, stand er da, bebend am ganzen Leib. Der harsche Ton schien ihn einzuschüchtern.
    »Hast du nicht gehört? Du sollst das verdammte Ding abnehmen, und zwar augenblicklich, oder wir werden dich …«
    Der Eindringling kam auch dieser Aufforderung nach. Mit zitternden Händen griff er nach der Maske, packte sie und zog sie sich mit einem Ruck vom Kopf.
    Diesmal waren es die Wächter, die überrascht waren – denn unter dem schwarzen Stoff kam langes blondes Haar zum Vorschein, dazu ein Gesicht, das sie nur zu gut kannten.
    »Madame Recassin«, entfuhr es einem von ihnen voller Entsetzen. »Was, in aller Welt, tun Sie hier …?«

6
    P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
S ARAH K INCAID
    An diesem Morgen bin ich mit einem seltsamen Gefühl erwacht, denn in der Geborgenheit der Zimmerflucht, die ich in einem Hotel nahe des Pont Neuf bezogen habe, erinnerte mich nichts mehr an die Schrecken der zurückliegenden Nacht.
    Ich schlug die Augen auf und fand mich inmitten weißer Möbel, roséfarbener Tapeten und nach Blüten duftender Vorhänge wieder. Das Licht eines klaren Sommermorgens, das durch die Lamellen der Fensterläden sickerte, ließ die Erinnerung an meinen Verfolger verblassen, zusammen mit den Eindrücken der Halbwelt, deren Gast ich eine Nacht lang gewesen war. Frischen Mutes trat ich ans Fenster und öffnete es, und während ich meinen Blick über den Fluss und die île de la Cité schweifen ließ, auf der sich eindrucksvoll die Formen des Justizpalastes und die stumpfen, ehrwürdigen Türme von Notre-Dame erheben, da vermochte ich nicht mehr zu sagen, was vergangene Nacht tatsächlich geschehen war.
    War ich wirklich von einer unheimlichen, gesichtslosen Gestalt verfolgt worden, die einen Umhang trug, schwarz wie die Nacht? Oder war jenes albtraumhafte Erlebnis nur eine Täuschung gewesen, eine Inkarnation jener bizarren Wirklichkeit, die zu nächtlicher Stunde am Montmartre herrscht und deren Opfer ich geworden war?
    Ich habe beschlossen, darüber nicht weiter nachzudenken und mich an die Fakten zu halten, die wahrlich interessant und anregend genug sind. Denn der mysteriöse Würfel, den ich von Maurice du Gard erhalten habe, scheint nicht nur das erste Lebenszeichen zu sein, das ich seit vielen Wochen von meinem Vater erhalten habe, er gibt mir auch in wissenschaftlicher Hinsicht Rätsel auf: Welchem Kulturkreis gehört das seltsame Artefakt an? Woher stammt es, und wie alt ist es? Und vor allem: Welchem Zweck hat es einst gedient?
    Die Beantwortung dieser Fragen scheint mir dringlicher zu sein als die Jagd nach einem Phantom, das womöglich nur in meiner Vorstellung existiert, deshalb habe ich den Tag mit wissenschaftlichen Recherchen verbracht. Da mir der Zutritt zur Bibliothek der Sorbonne verwehrt ist, habe ich jene des Musée du Louvre aufgesucht und mich bemüht, dort mehr über das Artefakt und seine Herkunft herauszufinden – bislang ohne Erfolg. Ich nehme an, dass die griechischen Buchstaben auf den Würfelseiten Abkürzungen sind, kryptische Botschaften, wie sie in der Antike gebräuchlich waren. Aber solange ich keinen Anhaltspunkt habe, was sich dahinter verbirgt, gleicht die Suche nach der Herkunft des Kubus jener nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.
    Frustriert von einer erfolglosen Suche, die mich nicht vorangebracht, sondern nur noch mehr Fragen aufgeworfen hat, hoffe ich, dass jener Mann mir mehr Informationen geben kann, von dem ich den Würfel erhalten habe und der mich für diesen Abend zum Essen eingeladen hat.
    Ein Wahrsager namens Maurice du Gard …
    P ARIS , R UE DE LA B ASTILLE
18. J UNI 1882
    Sarah Kincaid gab es nicht gerne zu, aber sie war beeindruckt – das Restaurant, das Maurice du Gard ausgewählt hatte, bot einen überaus prächtigen Anblick.
    Ein Kutscher namens Justin hatte Sarah um Viertel nach sieben am Hotel abgeholt – nicht nur, dass Franzosen zur Unzeit ihr Nachtmahl einzunehmen pflegten, sie schienen auch nichts von britischer Pünktlichkeit zu halten. In einem schnittigen zweirädrigen Gefährt, dessen Bauweise einem Hansom Cab nicht unähnlich war, war Sarah schließlich davongefahren, sehr zum Missfallen des guten Henderson, der seine Herrin nur sehr ungern alleine ziehen ließ. Sarah jedoch war sicher, dass sie du Gard zumindest in

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