Die Flamme von Pharos
dieser Hinsicht vertrauen konnte. Der Franzose mochte ein zweifelhaftes Gewerbe betreiben, aber er war auch ein Gentleman. Ungleich argwöhnischer war Sarah da schon, was du Gards Geschmack betraf – zu Unrecht, wie sich herausstellte.
Durch prächtige Eingangstüren, die uniformierte Portiers vor ihr öffneten, betrat sie den weitläufigen Speisesaal, der von riesigen Lüstern beleuchtet wurde. Die Fenster waren aus buntem Glas zusammengesetzt, Kirchenfenstern nicht unähnlich, der Boden mit Teppichen belegt. An runden Tischen saßen vornehm aussehende Damen und Herren, denen livrierte Kellner dezent servierten; am eindrucksvollsten jedoch war die große gläserne Kuppel, die sich über dem Saal wölbte und durch die der orangerote Abendhimmel zu sehen war. Während das Licht des Tages allmählich verblasste, spendete das Kristall an den Lüstern glitzernden Schein. Zudem war jeder Tisch mit einer eigenen Lampe versehen, deren stetes Licht verriet, dass sie nicht mit Gas betrieben wurden, sondern dass hier bereits die moderne Zeit in Form von Elektrizität Einzug gehalten hatte.
Ein gravitätisch aussehender Maître nahm Sarah in Empfang und geleitete sie zu einem Tisch, der sich exakt unter dem Zenit der Kuppel befand, in der Mitte des Saales. Wie Sarah feststellte, schien du Gard mehr von Pünktlichkeit zu halten als sein Kutscher – er war bereits anwesend, und sein bemühtes Lächeln verriet, dass er schon eine Weile wartete.
»Lady Kincaid«, sagte er, während er sich erhob, verbeugte und dabei Anstalten machte, ihr einen Handkuss zu geben, »schön, dass Sie es einrichten konnten. Ich dachte schon, Sie hätten meine Einladung ausgeschlagen …«
»Mitnichten, lieber du Gard«, erwiderte Sarah zuckersüß und setzte sich, wobei sie den Franzosen in gebückter Haltung und unverrichteter Dinge stehen ließ, »aber Sie selbst empfahlen mir ja, mich an die örtlichen Gepflogenheiten zu halten, und da Ihr Kutscher sich verspätete …«
»D’accord, Sie gewinnen.« Er setzte sich ebenfalls, und das Lächeln verschwand aus seinen Zügen. »Wollen wir dieses Spiel den ganzen Abend hindurch fortsetzen?«, erkundigte er sich.
»Welches Spiel?«
»Ich demütige Sie, Sie demütigen mich … Ich dachte, wir könnten das vielleicht hinter uns lassen.«
»Das hängt ganz von Ihnen ab«, erwiderte Sarah.
»Inwiefern?«
»Ich brauche Informationen«, stellte Sarah klar.
»Informationen? Worüber?«
»Das wissen Sie doch genau. Über den Würfel, den mein Vater Ihnen gegeben hat.«
»Oui, ich kann mir vorstellen, dass Sie mehr darüber wissen möchten«, räumte du Gard ein. »Deshalb bedaure ich es sehr, Ihnen gestehen zu müssen, dass sich solche Informationen nicht in meinem Besitz befinden.«
»Unsinn.« Sarah schüttelte unwirsch den Kopf. »Sie verbergen etwas, du Gard.«
»Ich verberge etwas?« Der Blick des Franzosen war unverhohlen vorwurfsvoll. »Alors, bekommen Sie in England keine Manieren beigebracht? Ich lade Sie zum Essen ein, und alles, was Ihnen dazu einfällt, ist, mir Vorhaltungen zu machen?«
»In jedem Fall wissen Sie mehr, als Sie sagen«, beharrte Sarah, die fest gewillt war, sich diesmal nicht von du Gards Schauspielkunst beeindrucken zu lassen.
»Das mag wohl sein, ma chère. Aufgrund meines Berufes erfahre ich manches, das ich besser für mich behalte – aber nichts davon betrifft Ihren Vater oder das Artefakt.«
»Sind Sie sich da auch ganz sicher?«
»Bien sûr.«
»Woher stammt der Würfel?«
»Ich sagte es Ihnen schon – Ihr Vater kam zu mir und hat ihn mir gegeben.«
»Und er hat nichts dazu gesagt? Kein erklärendes Wort?«
»Non«, antwortete du Gard ebenso schlicht wie endgültig.
Sarahs Augen verengten sich, während sie ihn prüfend taxierte. Aber so sehr sie sich auch bemühte, hinter die Fassade von Maurice du Gards blassem Gesicht zu blicken – sie vermochte es nicht. Entweder, du Gard ist der gerissenste Lügner, dem ich je begegnet bin, oder er spricht schlicht und einfach die Wahrheit, dachte Sarah. Aber welchen Grund hätte er haben sollen, sie zu belügen …?
»Haben Sie versucht, etwas über den Würfel herauszufinden?«, erkundigte sich du Gard.
»Allerdings.«
»Und?«
»Ohne Erfolg.« Sarah biss sich auf die Lippen. »Ich bin sicher, dass die griechischen Buchstaben darauf für irgendetwas stehen, aber solange ich nicht herausfinde, was das ist, komme ich nicht weiter.«
»Und das Emblem?«
»Der Stil kommt mir bekannt vor, aber ich bin nicht
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