Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
hielt eine kleine, mit Wachs versiegelte Schriftrolle in die Höhe.
Ahmann nickte und gab Shanjat einen Wink, den Brief in Empfang zu nehmen. Shanjat war Ghilans kai , doch der Krieger sprang auf die Füße und rückte von ihm ab.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Ahmann.
»Die Heilige Tochter ließ mich einen Eid schwören, Shar’Dama Ka , dass ich den Brief nur dir persönlich gebe und keinem anderen«, erklärte Ghilan.
Ahmann nickte wieder und winkte den Mann zu sich. Ghilan lief die Stufen hinauf, und auf dem Podest angekommen fiel er erneut auf ein Knie. Er hielt den Blick gesenkt, als er Ahmann den Brief reichte, und er sprach so leise, dass nur Ahmann und Inevera ihn hören konnten. »Ich habe noch etwas zu sagen, Erlöser. Meisterin Leesha hat selbst zugegeben, dass sie mir Gift gab, um zu verhindern, dass ich dich erreiche.«
»Das war eine Täuschung«, behauptete Ahmann.
Der junge Sharum schüttelte den Kopf. »Vergib mir, Erlöser, aber sie hat nicht gelogen. Nach zwei Tagen spürte ich, wie ich immer schwächer wurde. Am dritten Tag stürzte ich vom Pferd, lag stundenlang am Boden und wartete auf den Tod.«
»Wie hast du überlebt?«, erkundigte sich Inevera.
Der Sharum verneigte sich vor ihr. »Es wurde Nacht, Damajah , und ich wollte lieber durch alagai -Krallen sterben, als im Dreck zu liegen, während das Gift einer Frau mir die Kraft stahl.«
Ahmann nickte. »In deiner Brust schlägt das Herz eines wahren Sharum , Ghilan asu Fahkin. Und was geschah dann?«
»Ich war kaum stark genug, um aufzustehen«, erzählte Ghilan, »aber ich versteckte mich und wartete darauf, dass sich ein alagai näherte. Nach einer Weile schlich ein Felddämon vorbei und versuchte, meine Spur zu wittern. Als er nahe genug an mein Versteck herangekommen war, stach ich mit meinem Speer zu.«
»Und gleich fühltest du dich kräftiger«, mutmaßte Inevera.
Ghilan nickte. »Everam segnet die, welche Nies Kreaturen töten. Mein Pferd war weggelaufen, und während der nächsten zwei Nächte jagte ich alagai , bis meine Kräfte wiederhergestellt waren. Bitte habt Nachsicht wegen der Verzögerung, aber ich kam so schnell, wie es mir nur möglich war.«
Ahmann legte eine Hand auf die Schulter des Mannes. »Ich bin stolz auf dich, Ghilan asu Fahkin. Du sollst wissen, dass deine Ehre grenzenlos ist. Und nun begib dich in den großen Harem, wo die jiwah’Sharum dir ein Bad bereiten und alles Erforderliche unternehmen sollen, damit du in einen wohlverdienten Schlaf fällst.«
Der Krieger nickte und verließ den Raum so zügig, wie er hereingekommen war. Ahmann öffnete den Brief, las ihn und gab ihn an Inevera weiter.
»Mein Gemahl, es tut mir leid«, sagte sie, während sie den Inhalt überflog, »aber ich hatte dich gewarnt.«
»Und wieder einmal haben die Vorhersagen deiner Würfel sich bewahrheitet«, sagte Ahmann. »In der Nacht habe ich zwei Sharum’ting gewonnen, und am nächsten Morgen die Krieger des Tals verloren.«
»Ich bin nicht schadenfroh, Liebster«, sagte sie, aber es stimmte nicht ganz. »Falls es dir ein Trost ist: Du kannst nichts verlieren, das dir nie wirklich gehört hat.«
Betrübt schüttelte Ahmann den Kopf. »Es ist mir kein Trost, meine Gemahlin.«
Inevera rückte die steinerne Abdeckung einer der verborgenen Nischen, die sich in ihrer Kammer der Schatten befanden, zur Seite. In der dahinter liegenden Aussparung steckte ein kleines Kästchen, versehen mit Siegeln der Kälte und durch einen Kern aus Dämonenbein mit Energie gespeist. Ein dünne Schicht aus Raureif überzog die Oberfläche.
Inevera öffnete es und holte einen steifgefrorenen Fetzen Seide heraus. Dieses Stück Stoff war von unschätzbarem Wert, aber da sie wieder über Würfel verfügte und Meisterin Leesha endlich in Verruf gebracht war, wurde es höchste Zeit, endlich die hora über die Hexe aus dem Norden zu befragen.
Die Seide stammte von einem von Ineveras vielen Taschentüchern, und mit diesem hatte sie das Blut aufgetupft, das Leesha während ihres Kampfes in Ineveras Kissenzimmer verloren hatte. Vorsichtig schnitt sie die mit Blut vollgesogenen Stücke heraus und warf sie in eine kleine Schale mit einer dampfenden Flüssigkeit. Als das Blut sich vollständig aus dem Stoff gelöst hatte, goss sie die Mixtur über ihre Würfel und schüttelte sie.
»Allmächtiger Everam«, betete sie, »gib mir Wissen über Leesha, Tochter des Erny, aus der Familie Papiermacher, die dem Stamm der Talbewohner angehört.« Sie
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