Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
Inevera.
»Abban ist mir ebenso treu ergeben wie du«, entgegnete Jardir.
Sie schüttelte den Kopf. »An erster Stelle steht immer er selbst, und erst danach kommst du.«
Jardir nickte. »Dasselbe könnte man von dir behaupten, Braut des Everam.«
»Es ist etwas anderes, wenn man zuerst dem Schöpfer dient«, hielt sie ihm entgegen.
»Ja und nein«, erwiderte er. »Menschen können einander niemals blind vertrauen, Liebste. Und dennoch müssen wir zur Gemeinsamkeit finden, wenn wir den Sharak Ka gewinnen wollen. Das Erlöschen des Mondes ist nahe. Jetzt ist die Zeit, um sich der Dunkelheit zu stellen, und nicht, um sich vor einem Giftanschlag oder einem Messer im Rücken zu fürchten.«
Inevera öffnete den Mund, aber Jardir legte einen Finger auf ihre Lippen. »Du bist die Braut des Everam, Gemahlin, und dennoch bin ich derjenige, der glaubt. Ich glaube nicht nur an den Schöpfer, sondern auch an Seine Kinder.«
» Glaube allein genügt nicht, um Körbe zu flechten, hat meine Mutter immer gesagt«, entgegnete sie. »Der Schöpfer hilft denjenigen, die sich seine Hilfe verdienen.« Ihre Aura sagte ihm, dass sie ihn für tapfer hielt, aber auch für einen Narren.
»Der Schöpfer hilft«, wiederholte Jardir. »Hältst du es für einen Zufall, dass wir das geweihte Metall des Kaji nur wenige Wochen vor der härtesten Belastungsprobe meiner Herrschaft fanden? Wir kämpfen nicht allein gegen Nie, auch wenn Er die alagai nicht selbst tötet. Und wenn ich dazu bestimmt bin, diese Welt zu erlösen, muss ich daran glauben, dass trotz aller Zwistigkeiten kein Mensch – weder Mann noch Frau noch Kind – zulassen will, dass die alagai siegen.«
Inevera widersprach ihm nicht, aber an ihrer Aura merkte er, dass sie skeptisch blieb.
»War deine Mutter Korbflechterin?«, fragte er, um das Thema zu wechseln. »Ich nahm an, sie sei eine dama’ting .«
Plötzlich loderte ihre Aura wild auf. Er sah darin Erschrecken, Angst, ein Geheimnis. Es genügte, um ihn neugierig zu machen, aber er erhielt keine Antworten. Er fragte sich, ob es ihr so ging, wenn sie versuchte, die Aussagen der alagai hora zu deuten.
»Du sprichst niemals über deine Familie«, hakte er nach.
Ineveras Aura zeigte ihm, dass sie verzweifelt nach einem Weg suchte, um seinen Fragen auszuweichen und ihn abzulenken. Ihre Ausdünstungen glichen denen eines in die Enge getriebenen Tieres, das lieber flüchten als kämpfen will. Doch dann hob und senkte sich ihre Brust einige Male rhythmisch, und eine Woge der Ruhe breitete sich über ihr aus.
»Die meisten dama’ting sind die Töchter unseres Ordens«, sagte sie. »Ein paar werden beim Hannu Pash von den Würfeln auserwählt. Wenn wir gerufen werden, brechen wir den Kontakt zu unseren Familien gänzlich ab, und von diesem Augenblick an erfahren sie nie wieder etwas über uns.«
Das war interessant. Jedes ihrer Worte stimmte, und dennoch sagte ihm ihre Aura, dass sie log. »Aber du hast den Kontakt beibehalten.«
Inevera lächelte. Eine geübte Geste, mit der sie sich die Zeit verschaffte, um ihre Gelassenheit wiederzufinden. Sie fragte sich, wie viel er wusste, ob er sie bespitzeln ließ. Um nicht zu viel zu enthüllen, überlegte sie sich sorgfältig, was sie sagen sollte.
Jardir wurde dieses Spiels überdrüssig. » Jiwah , hör auf, mir etwas vorzumachen.«
Sein Tonfall war barsch, und er sah, wie sie darauf ansprach, den Vorwand nutzte, um wütend zu werden und die Unterhaltung abzubrechen. Ihre Miene verfinsterte sich zu dem zornigen Ausdruck, den sie perfekt beherrschte.
Er schmunzelte. »Hör auch damit auf.« Er ging zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie erstarrte und leistete scheinbar Widerstand, als er sie an sich drückte. »Liebst du mich, jiwah ?«
»Natürlich, mein Gemahl«, antwortete sie ohne zu zögern.
»Und hast du Vertrauen zu mir?«
Ihre Aura flackerte auf, und sie zögerte ein wenig. »Ja.« Es war keine direkte Lüge, aber es war auch nicht die Wahrheit.
»Ich weiß nicht, welches Geheimnis deine Familie umgibt«, sagte Jardir. »Aber ich kann sehen, dass du mir etwas verschweigst, und das entehrt mich.« Inevera rückte von ihm ab und wollte etwas sagen, aber er schüttelte den Kopf. »Als wir uns miteinander vermählten, war dies mehr als nur eine Verbindung zwischen uns beiden. Deine Familie wurde auch die meine, und meine Familie die deine. Was immer es ist, ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
Inevera starrte ihn eine geraume Zeit lang an. Ihre Aura zeigte so
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