Die Flammen von Lindisfarne

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Autoren: Rolf W. Michael

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und Sternen das Ende ankündigen. Die Gräber werden sich öffnen und die Toten freigeben“. erklärte Bruder Johannes, der die Evangelien mehrfach abgeschrieben hatte und sie fast auswendig hersagen konnte. „Dann werden die Menschen vergehen vor Furcht in Erwartung dessen, was über sie hereinbrechen wird, denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“

    „Die Zeichen des Himmels...das ist es!“ rief Bruder Alban eifrig. Ich bin nicht der einzige unserer Gemeinschaft, der mit eigenen Augen die Feuerschlange in der Nacht gesehen hat, als er, aus dem Fenster blickte. Auch Bruder Stephan und Bruder Benno sahen, wie sie sich in der Schwärze zwischen Mond und Sternen ringelten. So sagten sie mir auf dem Wege zur Arbeit im Scribtorium. Bezeugt die Wahrheit meiner Worte, geliebte Brüder in Christus!“

    „Er sagt die Wahrheit“, nickten die beiden angesprochenen Mönche mit demütig gesenktem Haupt. „Es war ein gewundener Riesenwurm am nächtlichen Firmament, die in sonderbaren Farben leuchtete und...“

    Ein grelles Lachen unterbrach sie. Das Lachen eines Greises, der am unteren Ende der Tafel saß und während der ganzen Zeit, in der die Mönche ihre Aufregung herausredeten, genussvoll seine kärgliche Mahlzeit einnahm. Mit dem Finger wischte er eben die letzten Reste des mit Kräutern angereicherten Breis aus Milch und Gerste aus seiner Tonschale.

    „Was soll das unziemliche Lachen an dieser Stätte innerer Einkehr, Bruder Erik?“ Die Stimme des Abtes klang tadelnd.

    „Ich lache, weil ihr guten Christen genau so abergläubisch seid wie meine Brüder im Nordland. Diese nennt ihr Barbaren, weil sie dem Stampfen der Pferdehufe, dem Raunen der Runen und dem Flüstern von Eichenblättern, durch welche die Winds-braut streift, höchste Beachtung schenken!“ gab der Mönch Erik zurück.

    Er war höher gewachsen als die anderen Brüder und das Haar war unterhalb der Tonsur länger als bei den anderen Mönchen. Der flachsfarbene volle Bart war wie der nach der Benediktinerregel verbliebene Haarkranz von eisgrauen Strähnen durchzogen und in das schmale Gesicht mit den meerblauen Augen hatten Leid und Alter ihre harten Runen gegraben. Obwohl er seine Reden der im Klostergespräch üblichen lateinischen Sprache führte, zeigte sein harter Akzent, dass seine Heimat der Norden jenseits des Meeres war.

    „Sind die Feuerschlangen am Himmel nicht die Zeichen des Antichristen, von denen die geheime Offenbarung des Johannes kündet?“ fragte einer der Mönche mit Vorwurf in der Stimme.

    „Es ist das Licht des Nordens, das wir in meiner Heimat oft zu nächtlicher Stunde sehen können“, erklärte Bruder Erik. „Selten ist es hier so weit im Süden zu erkennen. Eine ganz natürliche Erscheinung des Himmels, wie die Wolken oder das Morgenrot...“

    „Ein... Naturereignis... dieses zuckende Schlangengebilde am Himmel, das stets seine Farbe zu wechseln scheint...!“ brach es aus den Mönchen hervor, die in der Nacht Zeuge des so weit im Süden seltenen Phänomens geworden waren.

    „Schon die weisen Männer des alten Griechenland, deren Schriften ich in diesen Mauern studierte, verkündeten, dass jedes Phänomen an Himmel, Erde oder Wasser seine Erklärung in der Natur haben muss“, sagte der Mönch aus dem Norden. „Nur begreifen wir Menschen jetzt noch nicht die natürlichen Zusammenhänge, warum diese Dinge entstehen.

    Aber es werden die Tage kommen, an dem die Menschheit erkennt, dass es in der Natur nichts gibt, was dem Zufall überlassen ist. Mögen die einfachen Menschen an das Wirken von Göttern und Dämonen glauben. Wir Männer, die durch das Studium der heiligen Schriften und der Überlieferungen alter Zeiten weise wurden, wissen es besser als die abergläubischen Bauern, woher Blitz und Donner kommen. Denn das einfache Volk meiner Heimat hört das Widdergespann über den Himmel rollen, wenn der Donner grollt und sieht im Blitz den Mjöllnir fliegen sehen. Es gibt aber weder den Hammergott, der durch den Wurf des Mjöllnir den Donner er-dröhnen lässt, noch gibt es die Riesen, die unter der Scholle die Erdbeben entstehen lassen. Alles geschieht nach der Notwendigkeit der Natur.“

    „Das ist heidnisches Gedankengut!“ stieß Bruder Johannes hervor und bekreuzigte sich. „Die alten Griechen waren Heiden!“

    „Was tut das, wenn ihre Worte nach jeder vernünftiger Überlegung als wahr erkannt werden?“ gab Erik zurück. „Was verstehen wir