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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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neugierig.
     
    „Nach dem harten Gesetz des Nordens war ich der Blutrache verfallen“, erklärte Erik. „Sie hätten mich meinem unabwendbaren Schicksal in den Wellen überlassen oder mich ertränken können, als sie erkannten, welch seltsamen Fisch sie in ihr Boot gezogen hatten. Aber die Mönche nahmen mich auf in ihr Haus, als sei ich von ihrer eigenen Sippe. So ließ ich mich taufen und wurde einer der Ihren. Ich lernte ihre Sprache, dazu auch Griechisch und Latein und, was am Wichtigsten ist, die Kunst des Lesens und des Schreibens. Als man mir eine ihrer Harfen brachte, viel größer und kunstvoller, als sie der größte Meister des Nordlandes schaffen kann, da lernte ich sie zu schlagen und ihr Melodien zu entlocken, mit denen man die heiligen Choräle zu Ehren Gottes begleiten kann.
     
    Doch tief in meinem Inneren ist immer noch der Sinn und die Denkungsart meiner felsigen Heimat, in der nicht Liebe und Verzeihung, sondern Kraft und gnadenlose Härte regieren. So weiß ich, dass die milde Lehre Christi dem ganzen inneren Wesen eines Wikingers zuwider ist.“
     
    „Gott hat auch die anderen harten Herzen der Heidenvölker bekehrt!“ sagte Abt Bernhard milder gestimmt. „Er hat die Völker der heidnischen Welt zu Dienern Christi gemacht und selbst die Köpfe der römischen Cäsaren gebeugt. In diesem unserem Kloster weilte Winfried Bonifatius, bevor er auszog, die Germanen zu bekehren. Karl, der große Frankenkönig, hat vor wenigen Jahren das stolze Haupt der Sachsen unter der Taufe gebeugt...“
     
    Er brach ab, weil er das Aufblitzen in Eriks Augen sah. Bis in die Stille von Lindisfarne war die Schreckenskunde vom Blutgericht an der Aller gedrungen. Und selbst der Abt hatte alle Mühe gehabt, vor seiner eigenen inneren Stimme des menschlichen Gewissens diesen Racheakt Karls des Großen als gute Tat im Dienste des wahren Gottes auszulegen. Damals hatte Erik, unter dessen Christentum sich so viel heidnisches Denken verbarg wie Wasser unter dem Eis eines gefrorenen Teiches in aufbrausendem Zorn den Frankenkönig einen zweiten Nero genannt. Zur Buße für diese Worte hatte er ein halbes Jahr eingeschlossen in seiner Zelle verbracht.
     
    „Einst wird Christi Banner über deinen Nordlandfelsen wehen und die Enkel der Wikinger werden als Streiter Gottes gegen die Feinde des Glaubens zu Felde ziehen“, orakelte Bernhard von Whitby.
     
    „Aber die Feuerschlangen am Himmel...“, mit diesen Worten brachte Bruder Alban wieder den Kern des Gespräches hervor.
     
    „Ich sagte schon, dass sie ein ganz natürliches Ereignis sind, das wir im Norden als Polarlicht kennen“, erklärte der einstige Nordmann. „Auch die schweren Gewitter und die verheerenden Wirbelstürme haben stets ihre natürliche Erklärung. Seht in den über einhundertfünzig Jahre zurückreichenden Annalen unseres Klosters nach und ihr werdet finden, dass es diese Dinge zu allen Zeiten gegeben hat.
     
    Der Komet, vor dem ihr euch seit den Tagen der letzten Sonnenwende ängstigt, hat sicher auch eine natürliche Erklärung. Seit allen Zeiten sind diese Schweifsterne beobachtet worden und merkwürdigerweise zeigten sie immer große Ereignisse an.
     
    Nun, auch die Ermordung des großen Julius Cäsar oder die Geburt des Erlösers zu Bethlehem wurde der Welt durch das Erscheinen eines Kometen verkündet. Aber dennoch ist ein Komet kein Ereignis, das in den Weissagungen der Geheimen Offenbarung genannt wird. In der Apokalypse steht geschrieben, dass vor den Drangsalen erst das Tier dem Meer entsteigen wird, das den Antichrist trägt. Nun, Brüder, seid ihr beruhigt?“
     
    „Aber das Blut, das vom Dach der Kirche zu York tropfte?“ wagte Bruder Alban einzuwerfen. „Das musst du doch als Zeichen des Himmels erkennen.“
     
    „Ich bin sicher, dass auch dieser Blutregen eine natürliche Erklärung hat“. lächelte Erik, „Denn es geschah am letzten Tage vor der Fastenzeit, wo überall außerhalb der Klostermauern ausgelassene Feiern stattfinden. Wer weiß, welches Ael-seelige Gehirn sich diesen makaberen Scherz ausgedacht hat...!“
     
     
     
                                                                                        Angela von York
     
    Bruder Gregor schickte sich eben an, mit dem Läuten der Glocke die frommen Brüder zum Angelus-Gebet zu rufen, als er aus dem Fenster der Glockenkammer das Segel erkannte. Vom Norden her eine frische Brise eines

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