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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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Fingern darauf zeichneten. Schulterlanges Blondhaar umflatterte ein markiges Männergesicht, das trotz des wildwuchernden Bartes von den Narben jahrelanger Kämpfe gezeichnet war. Die Nase glich dem Schnabel eines Habichts und auch die scharf blickenden Augen unter der gerunzelten Stirn schienen diesem Räuber der Lüfte zu gehören.
     
    Obwohl bereits mehr als vierzig Sommer über das Land hinweg gezogen waren, seit Jarl Haakon mit den Knaben seines Dorfes herumtollte, glich er in seinen fließenden Bewegungen einem Jüngling. Sein muskulöser Körperbau war selbst unter den weit geschnittenen Kleidern aus Leinen, grober Wolle und Fellen zu erkennen. Seine breiten Schultern wurden noch ausladender durch den Umhang aus dem Pelz des grauen Bären. Durch ein raues Fellwams verdeckt trug er am Körper die Narben vergangener Tage, denen er das Bärenfell wie auch seinen Ehren-Namen verdankte.
     
    Es waren mehr als zwanzig Winter seit dem Tage seiner ersten großen Heldentag vergangen. Damals war Haakon ein Jüngling, der von den Waffenmeistern noch den Wurf mit dem Speer und den Hieb mit Schwert und Axt erlernen musste. Auch hatte er noch nicht an der ersten Kriegsfahrt teilgenommen, doch zur Jagd nahm man bereits die Knaben mit in die Wälder, damit sie dort Kampf und Tod kennenlernen konnten.
     
    Schon die Jagd auf den Elch in den Wäldern und im Ried oder die wilden Sauen in den Sümpfen waren so gefährlich, dass auch geübte Jäger oft genug Fleischwunden oder Knochenbrüche davon trugen. Bei der Jagd auf den brauen Herrn der Wälder aber stand der Tod an der Seite der todeskühnen Männer, die es wagten, dem Lieblingstier des mächtigen Thor mit dem Speer entgegen zu treten. Bei einer solchen Bärenhatz stand Haakon, der Jüngling, in der zweiten Reihe, um den Jägern einen neuen Speer zu reichen, wenn die gestellte Bestie mit dem Schlag ihrer Pranke den Schaft zerschlug.
     
    Doch die Jagd auf den grauen Räuber, der bereits mehrfach in die Viehkoppeln eingebrochen war, verlief anders, als es die Männer vom Ringan-Fjord geplant hatten. Die gewaltige Bestie, die ihnen die Schafe und Ziegen aus den Pferchen holte und manche Kuh von den kargen Weiden gerissen hatten, war nicht nur groß und stark wie sein Schutzherr, der gewaltige Donnergott selbst, sondern auch tückisch und klug wie Loki, der listige Herr des Feuers.
     
    Mit urtümlich röhrendem Brummen wich der Bär den Treibern aus, die mit Speeren und Äxten auf die mächtigen Lindenschilde schlugen, um das Jagdtier zu verunsichern. Sein Instinkt schien ihm zu sagen, dass man es Einkreisen dann vor die gefällten Speere der Jäger treiben wollte. Der Bär ließ sich von dem Lärm der Treiber nicht beeindrucken. Es trottete zu jener Waldlichtung, wo er die Jäger witterte. Irgendwo im Walde lagen die verendenden Kadaver der drei großen Hunde, die von dem Treiben ins Unterholz gehetzt wurden, um die graue Bestie dort aufzuspüren. Die Pranken des Bären hatten die kühnen Jagdgesellen mit einem einzigen Schlage zermalmt. Rasch erstarb das Winseln der Hunde unter dem hellen Gezwitscher der Vögel, dem Keckern der Hähern und Elstern und dem rauen Krächzen der Krähen und Raben, die durch die Tragödie im Wald aufgeschreckt waren.
     
    In weitem Bogen umging der zottige Waldgeselle die Reihen der Jäger und griff sie mit heiserem Brüllen von hinten an. Das Angriffsröhren einer Bestie, die auf den Tod gereizt war, ließ selbst dem mutigsten Mann das Blut in den Adern gefrieren. Für einen kurzen Augenblick war keiner der überraschten Jäger in der Lage, zu reagieren. Krampfhaft umklammerten die Hände sie Speere, ohne dass die vor Schreck aus den Körpern gewichene Kraft zum entscheidenden Stoß ins Herz des Bären da gewesen wäre. Die Beine aber schienen wie mit Blei ausgegossen und versagten jeglichen Dienst.
     
    Bevor sich die Männer wehren konnten, hatte das graue Ungeheuer drei von ihnen mit mächtigen Hieben zu Boden geworfen. Mit schweren Verletzungen, unfähig sich zu erheben oder zu verteidigen, lagen sie vor der gereizten Bestie, die mit erhobenen Pranken und weit aufgerissenen Rachen auf sie zukam. Vor Todesgrauen wichen die anderen Jäger so rasch es ging zurück. Dieser Bär war sicher kein normales Tier. Ein König der Wälder war es, den Thor selbst beschützte. Ein Ahnentier, das erste seiner Art, das die Götter schufen und das seit dem Anbeginn aller Dinge als unsterbliches Wesen bis zum Ende aller Tage durch die undurchdringlichen

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