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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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die Stunde weiß, wann die Drangsale der Apokalypse beginnen...“
     
    „Aber ich sah die Feuerschlangen ganz deutlich am Himmel, ehrwürdiger Vater“, ve rteidigte sich Bruder Alban, dessen erregte Stimme das rituelle Schweigen bei Tisch durchbrochen hatte und von einer seltsamen Himmelserscheinung berichtete, die er in der letzten Nacht gesehen haben wollte.
     
    Damit hatte sich Bruder Alban eines schweren Vergehens gegen die Gemeinschaft der Mönche schuldig gemacht. Denn nach den alten Regeln Sankt Benedikts war es Gebot, dass die Brüder während der Mahlzeiten schweigend den Worten eines Lektors lauschen mussten, der ihnen zur seelischen Erbauung Kapitel aus der heiligen Schrift verlas. Abrupt war die Stimme des Mönchs abgebrochen, als der Abt mit der Faust auf den grob gezimmerten Eichentisch schlug. Der Bruder, der beim heutigen Mittagessen im Refektorium den ehrenvollen Dienst des Vorlesers versah, unterbrach seine Lesung und starrte auf das Oberhaupt des Klosters.
     
    Bernhard von Whitby, der Abt vom Kloster des heiligen Cuthbert auf der Insel von Lindisfarne runzelte zwar die Stirn wegen dieser frevelhaften Störung, gleichzeitig haderte er jedoch mit sich selbst, dass er seine Gefühle nicht besser gezügelt hatte. Er hatte den Brüdern in allen Dingen ein Vorbild christlicher Demut zu sein. Langsam entspannte die Gestalt des grauhaarige Greis mit den asketischen Gesichtszügen.
     
    Abt Bernhards rechte Hand griff zu dem hölzernen Kreuz, das er als Zeichen seiner Würde um den Hals trug. Dieses Kreuz und der schmucklose Fischer-Ring an seiner rechten Hand waren die einzigen Dinge, die ihn unter den Brüdern in den schmucklosen, schwarzen Kutten der Benediktinermönche hervorhob. Während er das Kreuz an die Stirn hob und die Mönche annahmen, dass ihr Oberhaupt in ein stilles Bußgebet versunken war, überlegte Abt Bernhard fieberhaft nach einer Antwort auf Bruder Albans bange Fragen.
     
    Schon seit einiger Zeit flüsterte man nicht nur in der Bauernkaten der Insel, sondern auch hinter den Klostermauern von merkwürdige Zeichen, die überall erschienen. Den Kometen, der wenige Tage nach dem letzten Christfest über Himmel gezogen war, hatte der Abt selbst gesehen. Eigentlich widersprach es den Regeln des Möchtums, sich mit derartig heidnischer Zukunftsschau zu beschäftigen. Doch nun hatte es Bruder Alban gewagt, öffentlich vor dem Abt und der Versammlung der Brüder über die Schreckenszeichen zu reden, vor denen sich die Knechte des Klosters entsetzten und vor denen sich die Bauern der Insel fürchteten. Abt Bernhard wusste, dass er hier und jetzt den Brüdern ins Gewissen reden musste. Die Mönche mussten begreifen, dass es eine schwere Sünde war, an diesen abergläubischen Unsinn aus den Vorstellungen der Heidenwelt auch nur zu denken.
     
    „Was immer du gesehen hast, lieber Bruder in Jesus Christus, es sollte dich nicht ängstigen“. sagte der Abt nach einer Weile, „Denn nichts geschieht, was nicht Gottes Wille ist. Weder in den heiligen Evangelien noch in der Geheimen Offenbarung steht etwas davon, dass Feuerschlangen am Himmel das Ende der Welt ankündigen!“
     
    „Aber das war nur eins der Zeichen, ehrwürdiger Vater!“ wagte Bruder Gregor zu sprechen. „Habt ihr die furchtbaren Wirbelstürme des März vergessen, deren Gewalt selbst die starken Bäume entwurzelten, aus deren Blätterdach in der Heidenzeit noch die Druiden ihre Misteln schnitten?“
     
    „Auch die Gewitter im Mai, als ein Blitzschlag den Turm unserer Kirche traf und das goldene Kreuz zerstörte, das den Sieg Jesu Christi weit über Land und Meer verkündet, sollten wir beachten“ setzte Bruder Stephan hinzu.
     
    „Vergesst nicht die Kunde, dass während des letzten Tages vor der Fastenzeit vom Dach der Kirche von Sankt Peter zu York blutiger Regen tropfte und dass dort auf dem Turm zu nächtlicher Stunde weiße Gespenster ihren schaurigen Reigen tanzten!“ erinnerte ein Bruder Benno.
     
    „Beruhigt euch, liebe Brüder im Herren“, Bernhard von Whitby hob abwehrend die Arme. „Stürme, Gewitter und Blitzschlag hat es zu allen Zeiten gegeben. Nirgends in der heiligen Schrift steht geschrieben, dass Naturereignisse dieser Art das Kommen des Jüngsten Tages ankündigen. Was die braven Bürger von York dort im Turm gesehen haben, mögen Nebelfetzen und nicht die Schatten der im Herrn Entschlafenen gewesen sein!“
     
    „Es steht geschrieben im Evangelium des heiligen Lukas, das Zeichen an Sonne, Mond

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