Die Flammen von Lindisfarne

so lange quälen, bis ich alles gestanden hatte“, sagte Angela mit bitterer Stimme. „Vor dem versammelten Konvent der ehrwürdigen Mütter verurteilte uns der Bischof alle zu strengsten Exerzitien hier im Kloster zu Lindisfarne.“
     
    „Amen! Aber der Ehrwürdige weiß nicht, welche Exerzitien euer Aufenthalt für uns fromme Brüder bedeuten mag“, sagte Abt Bernhard mit zittriger Stimme und hob die Augen zum Himmel.
     
     
     
     
     
    Das Kreuz von Lindisfarne
     
    Wie ein glühender Ball war die Sonne inmitten einer Feuerlohe im westlichen Ozean versunken. Die Nacht breitete sich der Kuppel eines erhabenen Domes gleich ihren blauschwarzen Mantel über die unendliche See. Die Sterne funkelten vom finsteren Firmament als seien sie Diamanten auf blauschwarzem Samt. Ruhig wogte die Unendlichkeit des Meeres und nur auf den Wellen-kämmen ritten kleine Kronen aus weißer Gischt. Einem Meeresungeheuer der Sagas aus grauer Vorzeit gleich glitt das mächtige Drachenschiff über das grauschwarze Wasser. Ein gleichmäßiger Wind bauschte das mächtige, gestreifte Segel und zerrte in der Fahne mit den Odinsraben, die hoch droben über der Rahe züngelte.
     
    Das milde Licht des Silbermondes floss über die Deckplanken und sein unwirklicher Schein beleuchtete mehr als hundert harte Nordlandkriegern, die unter zottigen Fellen und wollenen Decken nach der Anstrengung des Tages tief und fest schliefen. Durch die vielen Körper herrschte drangvollen Enge an Bord. Wenn Lars Wolfssohn nach Weisung des Steuermanns zum Bug wechseln musste, um eine Tiefenlotung vorzunehmen, musste er sich in Acht nehmen, keinen der Schläfer zu treten und dadurch zu wecken.
     
    Eben suchte er vorsichtig seinen Weg nach Achtern, wo Harald Drachenreiter mit starker Hand das Steuer hielt und das mächtige Drachenschiff stets am Wind hielt, ohne den südwestlichen Kurs dabei zu verlassen. Der erfahrene Seemann wusste das Steuer so zu führen, dass das Segel die optimale Kraft des Windes für die Fahrt nutzen konnte.
     
    Gischt umschäumte den hochragenden Bug der MIDGARDSCHLANGE , die mit der Majestät eines wilden Schwans über die schweigenden Wasser glitt. Die aufwändigen Schnitzereien des Drachenschädels am Bug und des als ringelnder Schweif geformte Teil des Hecks waren mit kräftigen Farben bemalt, die mit einem Überzug aus Harz gegen das Meerwasser unempfindlich gemacht worden waren. Vom unwirklichen Mondlicht umflossen sah es aus der Ferne tatsächlich so aus, als habe Lokis Schlangengeschöpf ihr Wassergefängnis verlassen, um ihrem letzten Kampf mit Thor entgegen zu schwimmen.
     
    „Wir haben mehr Wasser unter der Schlange als unsere längste Lotleine hergibt“, sagte Lars leise zum Steuermann, als er, die schwankenden Schiffsbewegungen geschickt ausgleichend, seinen Weg zum Heck zurück gefunden hatte. Er bewunderte Harald Drachenreiter, der in jeder Nacht das Steuer führte und sich nur wenige Stunden am Tage unter einem Haufen Felle ausstreckte, um den fehlenden Schlaf der Mondstunden zu ersetzen.
     
    Denn bei ruhiger See den Kurs des Schiffes nach dem Stand der Sonne abzuschätzen und den Drachen in den Wind zu drehen, das vermochte jeder Wikinger. Doch um bei einer Fahrt zu nächtlicher Stunde den Kurs auf der offenen See zu bestimmen, musste ein Mann von Erfahrung das Ruder führen.
     
    Trotz seines festen Standes am Ruder, das er mit seinen nervigen Armen sicher führte, war auch Harald Drachenreiter, diesem harten Seemann, die Anstrengung der vergangenen Tage anzusehen. Während die anderen Männer an Bord die Annehmlichkeiten einer Fahrt mit ruhiger See und vollem Wind genossen, die den Einsatz der Ruder unnötig machte, musste er sich doch oft genug aus dem unruhigen Schlummer wecken lassen und mit stetigem Blick gen Himmel den Kurs der MIDGARDSCHLANGE neu abschätzen.
     
    Wie auf allen Nordlandschiffen üblich, war das Steuerruder an der Bordseite der Hand, die das Schwert führt, angebracht - dem Steuerbord. Da Bug und Heck der Wikingerschiffe hoch geschwungen waren, sah der Steuermann selbst über die Köpfe einer stehenden oder gar kämpfenden Mannschaft hinweg, wohin er das Schiff lenkte. In unübersichtlichen Gewässern oder bei Sturm stand ein seekundiger Mann am Drachenkopf im erhöhten Bug angebunden und signalisierte mit in verschiedenen Stellungen ausgebreiteten Armen Riffe, Untiefen oder sonstige Hindernisse, die er von seinem Platz vor dem Schiff erspäht hatte.
     
    Lars war stolz darauf, dass man ihn