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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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Wälder des Nordlandes zieht. Ein göttliches Geisterwesen war dieser übermannshohe Graugeselle, der sich hier vor ihnen auf die Hinterbeine stellte und seinen wütenden Triumph zum Himmel röhrte. Und kühne Männer, die im Kampf lachend in die Speere sprangen oder sich mit wilden Kampfgesängen einer vierfachen Übermacht stellten, sie wandten sich hier zur Flucht. Aus sicherer Entfernung erst hoben sie die Speere, um sie auf den hoch aufgerichteten Bären zu schleudern.
     
    Nur einer floh nicht mit den erfahrenen Jägern, denn Haakon, der Jüngling, sah, wie sich der graue Waldgeselle auf einen der am Boden liegenden Männer stürzen wollte, um ihm mit weit aufgerissenen Rachen den Tod zu geben. Hoch aufgerichtet stand der brummende König der Berge vor seinen Opfern und seine wirbelnden Pranken fegten die in Verzweiflung geschleuderten Speere beiseite.
     
    Haakon sah den graubraunen Fellrücken des Bären wie eine unersteigbare Klippe vor sich. Er fasste seinen Speer mit beiden Händen, nahm Anlauf und sprang, sich am Speer emporziehend, nach oben. Die Waffe fahren lassend verkrallte er sich im Nackenfell der Bestie und versuchte, mit den Beinen den Körper des Bären zu umschließen. Tobend schüttelte sich der Bär und versuchte, den unliebsamen Reiter los zu werden, aber Haakon klammerte sich in sein dichtes Fell wie der rotberockte Eichkater in die Wipfel der Tannen. Mit Nägeln und Zähnen verkrallte sich der kühne Reiter in den Pelz der im Zorn rasenden Bestie und so gelang es ihm, den Bären von den Todgeweihten abzulenken.
     
    Agnar Biberzahn, der Jarl von Ringan und Haakons Vater nutzte die Verwirrung des Bären durch die heldenkühne Tat seines Sohnes. Sich aufraffend ergriff er einen der Speere, die der Bär aus dem Wege geschlagen hatte. Mit wildem Wutschrei sprang er das Ungeheuer an und rannte ihm die Spitze der Waffe dort in den Leib, wo er das Herz wusste. Und Odin selbst, den nichts so erfreut wie die kühnen Taten unerschrockener Männer, schien ihm die Waffe bei dem Stoß zu lenken. Aufbrüllend stürzte der Bär zu Boden. Die Spitze des Speeres hatte ihn ins Leben getroffen.
     
    Zwar gelang Haakon der Absprung vom Rücken der sterbenden Bestie, doch geriet er in den Sog der im Todeskampf wirbelnden Pranken. Die Krallen des Bären bissen durch Stoff und Fell und zogen tiefe Furchen in die Haut seiner Brust. Narben, welche die Skalden bis auf den heutigen Tag besangen, wenn sie die Saga von Haakon Bärensprung in den Methallen ertönen ließen.
     
    „Warum hast du mit dieser Heldentat dein Leben aufs Spiel gesetzt?“, fragte ihn Agnar Biberzahn, nachdem er den Bär aufgebrochen hatte und Haakon die noch warme, blutige Leber reichte, die er nach dem Ehrenbissen mit den anderen Jägern teilte.
     
    „Es galt das Leben von Männern zu wahren, deren Söhne mir eines Kampfgefährten werden sollten“, erklärte Haakon mit stolzem Blick. „Außerdem war dieser Bär der Feind unseres Volkes und fügte uns schweren Schaden zu. Es gebot die Ehre, dass er besiegt wurde. Die Nordland-Ehre...!“
     
    Und heute war Haakon Bärensprung selbst der Jarl der Männer von Ringan Fjord. Als Zeichen seiner Macht trug er eine an Lederbändern gehaltene, handgroße Scheibe um den Hals. Kundige Hände hatten zwischen den beiden stilisierten Odins-Raben die Rune Allvater Odins eingeritzten. Schon der Urgroßvater von Agnar Biberzahn hatte dieses Zeichen der Würde getragen. Wie viele andere Oberhäupter der Gaue und Thing-Gemeinschaften war auch der Herr vom Ringan-Fjord einer der stolzen Jarls, die sich der Herrschaft von Thorin Wogenbrecher nur schwer unterordnete. Denn in hochfahrendem Stolz nannte sich Thorin Wogenbrecher der König von Norwegen, ohne dass es ihm jemals gelungen wäre, dass sich auch nur ein Nordländer vor seiner Majestät neigte. Die Nordland-Ehre ließ es nicht zu, dass ein Mann der Fjorde sich vor einer andren Macht neigte als vor Odin und den anderen Göttern von Asgard. Trotzdem wollte Thorin Wogenbrecher stets anordnen, was an der Fjord-Küste wie im felsigen Inland zu geschehen habe. Jarl Haakon wusste nur zu gut, dass der alte Seekönig vor Zorn rasen würde, erfuhr er vom Ziel der drei Kampfdrachen von Ringan.
     
    Ein handbreiter Gurt mit einer faustgroßen Schnalle aus getriebener Bronze um Haakons Lenden trug eine schmucklose, von Seehund-Leder überzogene Schwertscheide. Das mächtige Kampfschwert aus bläulichem Eisen lag in der nervigen Rechten des Jarls. Mit der blanken

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