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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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dessen merkwürdig geschwungene Schriftzeichen niemand zu deuten wusste. In langen Wellen lugte strohfarbenes Haar unter deinem fränkischen Helm hervor. Die meerblauen Augen konnten freundlich wie ein wolkenloser Himmel leuchten. Im Zorn oder im Kampf jedoch glichen sie dem gnadenlosen Eis des Winters, das die Natur ersterben lässt. Der kurze Vollbart war sorgfältig gestutzt und wesentlich kürzer, als es im Nordland üblich war. Sein Alter war schwer abzuschätzen, doch hatte er die vierzig Sommer sicher bereits überschritten.
     
    Obwohl alle Witwen gefallener Krieger hinter ihm her starrten und durch Worte oder Taten versuchten, die Aufmerksamkeit des gutaussehenden Kämpfers zu erregen zog es Sigurd vor, alleine mit einigen Sklavinnen seinen kleinen Hof am Ende der heimischen Siedlung zu bewirtschaften. So blieb er Herr im eigenen Hause und brauchte niemandem Rechenschaft abzulegen, wenn er nach reichlichem Mahl und ausgiebigen Trunk auf dem Heimwege durch Absingen einiger alter Kampflieder die Hähne aus dem Schlaf weckte. Ein keifendes Eheweib, ihr Schelten wie ihren Spott, musste man in einer solchen Situation mit schmerzenden Met-Schädel ertragen. Eine Sklavin aber warf man einfach aus dem Hause und befahl sie zu sich, wenn sich mit endender Übelkeit und abklingendem Schädelschmerz wieder andere Gefühle regten.
     
    Sigurd Schildspalter galt als der beste Schwertschwinger der Thing-Gemeinschaft und selbst Jarl Haakon war seiner Kunst beim Tanz der Klingen nicht gewachsen. Sein fränkisches Langschwert hatte Sigurd aus den legendären Südlanden mitgebracht, in die ihn in den Tagen seiner Jugend die Abenteuerlust trieb. Nur den Knauf und das Wehrgehänge der kostbaren Waffe hatte er sich von Snorre neu schaffen lassen.
     
    Die Klinge selbst war mehr als doppelt solang wie ein Sachs und Sigurd erzählte voller Stolz, dass er sie von einem mächtigen König namens Karl erhalten habe. An der Seite dieses Kriegsherrn der Franken habe er tief im Süden, wo ewiger Sommer herrscht, gegen dunkelhäutige Männer mit schwarzem Kraushaar unter den Mauern der Stadt Saragossa kämpfte. Als die Zeit seiner Dienstverpflichtung herum war und die Sehnsucht Sigurd wieder nach Norden zog, schenkte ihm König Karl eines seiner besten Schwerter. So jedenfalls hatte es Sigurd bisher immer erzählt. Seitdem er mit diesem Schwert bei einer Wikinger-Fahrt mit einem einzigen Schwertstreich einen emporgerissenen Schild zerhieb, trug er den Ehrennamen Schildspalter.
     
    „Frodin Graumantel hat unserem Jarl den Vortritt zu Odins heiligem Hain genommen, der nach dem Brauch der Altvorderen stets dem Edlen von Ringan-Fjord zusteht“, erklärte Sigurd. „Das ist es, was am Herzen des Bärensprung nagt wie Nidhöggr, der Neiddrache, an den Wurzeln der Weltesche. Mit einem schnellen Schritt kam Graumantel dem Bärensprung zuvor und schritt an der Spitze seiner Gefolgschaft zum Weihestein. Nur die Heiligkeit des Ortes und der mit zornigem Ruf des Priesters erhobene Runen-Speer bewahrte das Gras, Blut statt Regen trinken zu müssen.“
     
    „Doch heute ist der Tag gekommen, an dem die Runen Rache rieten“, brummte Thorsten Elchnase.
     
    „Die Rache des Geschmähten trifft nicht nur den Beleidiger, sondern seine ganze Sippe! Blut erst ersäuft die Neidtat. So haben wir es seit den Tagen unserer Ahnen immer gehalten. Das ist die Ehre des Nordlandes!“ fügte der alte Snorre hinzu. Und seine Worte klangen wie ein Todesurteil ...
     
    „Über den Gedanken an Rache vergisst du die hübschen Töchter der Angantyr-Leute und die reiche Ernte in ihren Scheunen“, sagte Sigurd mit sanfter Stimme. „Auch die Kraft der Männer, die ihren Nacken dem Halsring eines Sklaven beugen müssen, wenn über ihnen die Axt wie die Schwingen des Todes schwebt. Sklaven, die uns jede missvergnügliche Arbeiten abnehmen werden.“
     
    „Kein Nordmann scheut den Tod im Kampf“, widersprach Thorsten. „Wem das kärgliche Leben im Licht der Sonne so viel wert ist, dass er das freudlose Mahl im Reich der Hel vorzieht und auf den Platz des Einheriers an Odins Tafel verzichtet, zu dem er nach dem Tod im heldenhaften Kampf von den Walküren erkoren wird?“
     
    „Die vergisst jene Männer, die trotz tapferer Gegenwehr von vielen Armen überwunden und in Bande geschlagen werden“, sagte Sigurd mit wissendem Lächeln. „Oder die Kämpfer, denen aus blutenden Wunden die Kraft entweicht und deren Händen Wehr und Waffe entgleiten. Die so in Gefangenschaft

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