Die Flammen von Lindisfarne
sagen, ihr Gott verlangt von ihnen, dass sie der Sünde des Fleisches entsagen und...“
Er wurde unterbrochen, weil wieherndes Gelächter durch die Methalle dröhnte, in dem sich raue Männerkehlen und helle Frauenstimmen mischten. Der Umgang mit einer Frau war bei den Wikingern etwas so Selbstverständliches wie jedes andere menschliche Bedürfnis und wurde keineswegs unterdrückt.
„Wenn du einst Christ wirst, nur um mich nicht mehr beglücken zu müssen, dann spalte ich dir in Friggas Namen den Schädel“, drohte Ragnhild Drachenzahn ihrem Eheherrn. „In den Pfuhl mit einem Gott, der solche widernatürlichen Dinge von seinen Dienern fordert!“
„Es gibt auch Frauen, die in solchen Klöstern leben. Man nennt sie Nonnen und sie leben ohne Männer“, erklärte Thursula und sandte wieder einen tiefen Blick zu Lars hinüber.
„Ha, Bärensprung“, grölte Ragnar, der Hammer. „Rufe uns zu einem Raubzug gegen ein solches Nonnenkloster und wir alle segeln mit dir ohne Frage nach der Beute.“
„Und wenn wir mit den Nonnen fertig sind, werden sie beglückt dem Christengott abschwören und Frigga preisen!“ johlte Thorsten Elchnase.
„Mag an diesen seltsamen Gott glauben wer mag“, grollte Björn Baumfäller. „Aber wer es wagt, hier in Ringan zu verlangen, dass wir Männer die Frauen meiden sollen, dem werde ich mit meiner Keule die Schädeldecke öffnen, damit etwas Verstand hinein fließe.“
„Bitte, erzähle weiter, Wulfegar“, bat Lars Wolfssohn.
„Im Rate der Krieger schweige das junge Volk“, grollte Snorre von unten und schlürfte gierig das Methorn leer. Freundlich nickte der Jarl seinem Schmied zu und gab Lars durch ein Zeichen zu verstehen, dass es schon genug Ehre für ihn sei, in diesem Augenblick am oberen Ende der Tafel zu sitzen, während selbst die Söhne des Jarl sich an den unteren Tischen der Krieger drängten.
„Die Sachsen hatten sich den Franken schon einmal unterworfen, ohne jedoch besiegt zu sein“, fuhr Wulfegar fort. „König Pippin hatte viel im Lande Italia zu tun, um dort dem Christen-Papst gegen die Könige der Langobarden beizustehen. Er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern, ob die Sachsen ihren alten Göttern auch wirklich abgeschworen hatten. Aber das änderte sich, als Pippin zu seinen Vätern versammelt wurde und sich der Bruderzwist seiner Söhne dadurch erledigte, dass Karlmann starb. So wurde Karl, den sie wegen seines ungeheuren Körpermaßes den Großen nennen, zum Alleinherrscher des mächtigen Frankenreiches.
Karl der Große war vom Schlage der alten fränkischen Eroberer. Er sah es als eine seinem Gott wohlgefällige Tat an, den Stolz unseres Volkes vernichten und das sächsische Edelross ins Joch des Christentumes zwingen. Mit ungeheurerer Heer-macht zog er nach Sachsenland und erstürmte die feste Eresburg, in deren Nähe sich das größte Heiligtum der Sachsen befand - die Irminsul.“
„Bevor du uns mit schmerzlichen Worten berichten musst, wie das Heiligtum geschändet wurde, beschreibe uns, was sie Irminsul ist“, bat Hrolf Silberhaar.
„Ich muss dazu aus unseren Göttermythen berichten, die von den Sachsen-Sängern anders als von den Skalden Nordlands gesungen werden“, Wulfegars Stimme klang feierlich. „Am Anfang aller Dinge schufen Wotan, Wili und We den erdgeborenen Gott Twisto und gaben ihm Leben. Gott Twisto aber hatte drei Söhne, von denen alle Stämme der Germanen abstammen. Ingo, Irmin und Isk waren ihre Namen. Und das Volk der Sachsen stammte von Irmin ab.
Die Irminsäule war eine hochragende Eibe, der heilige Baum des Tiu Saxnot. Ein uralter Nadelbaum von dem man sich erzählte, dass ihn die Sachsenkrieger pflanzten, die vor vielen Jahrhunderten in der Legendenschlacht der Germanenvölker gegen die Horden der Romaburg im Teutoburger Wald kämpften. Wie ein hoch auf gerichteter Sachs war Tius heiliger Baum schon aus weiter Entfernung zu erkennen. In den Schatten der Irminsul hängten die siegreichen Krieger die Weihegeschenke für den Gott, die sie in blutiger Schlacht erbeutet hatten.
Die Franken aber fielen wie wilde Tiere über das Heiligtum her und erschlugen Tius ehrwürdige Priester. Dann zerschmissen sie die Weihegaben und legten Feuer um den Baum. Drei Tage brannte die heilige Eibe, dann stürzte die Irminsul zum Sterben nieder. Doch aus dem auf rauschenden Funkenregen stiegen die Rachegeister empor und flogen über Sachsenland, die treuen Söhne Tius zur
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