Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
entgehen.
     
     
    Er liest, was er geschrieben hat. Im Großen und Ganzen erscheint es ihm akzeptabel. Der Stil ist glaubwürdig und der Ton stringent, wie er findet. Vielleicht erscheint es ein wenig eigenartig, dass er seinen Namen und sein Alter angibt. Das sollte er vielleicht noch in Ordnung bringen.
    Eine große Sache, denkt er. Stellt das Heft zwischen »Fräulein Julie« und »Aufzeichnungen aus dem Kellerloch« und fühlt sich endlich rechtschaffen müde.
     

7
     
    B orgmann ist tot.«
    »Wer?«
    »Borgmann. Der Moralphilosoph. Kennst du nicht Professor Borgmann? Er ist doch sogar hier in der Stadt geboren.«
    Leon Markovic wirft ihm die Zeitung zu. Es ist ein Frühlingstag, so warm, dass das Freiluftcafé oben auf dem Steifen geöffnet hat, obwohl es erst Mitte März ist. Die Leseratten zögern nicht, diese Essensmöglichkeit auszunutzen. Mit dem Fahrstuhl geht’s geradewegs hinauf zu Bier, Sandwich und Sonnenbrand. Leon lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und dreht das Gesicht der Sonne zu.
    »Müsste ungefähr dein Alter haben. Möchte wissen, woran er gestorben ist.«
    Maertens schlägt die Zeitung auf und liest die Todesanzeige. Er spürt, wie ihm ein kalter Schweißtropfen die Schläfe hinunterläuft.
    Ganz plötzlich ist er heute von uns gegangen ...
     
    Er starrt das Datum an.
    Donnerstag. Es stimmt.
    »Gibt es eigentlich keinen Nachruf? Weiter hinten in der Zeitung, das machen sie doch immer ... schließlich war er ein Mann von Welt, verdammt noch mal. Ist nur in den letzten Jahren verstummt. Warum sagst du nichts? Hast du schon einen Sonnenstich?«
    »Ja ... nein, ich suche ...«
    »Ach, apropos ... Weißt du, warum die Kemp immer in dieser Woche Urlaub nimmt?«
    »Nein ...«
    »Weil am Freitag Idus Martii ist ... der Tag des Tyrannentodes, weißt du! Sie hat Angst, dass wir sie umbringen könnten!«
    Er brüllt vor Lachen.
    »Übrigens hat Mauritz das gesagt ... na ja, jetzt werde ich erst mal ein kleines Nickerchen machen. Weck mich, wenn die Arbeit ruft, und raschle nicht so verdammt laut mit der Zeitung, sei so gut!«
    Maertens trinkt von seinem Bier und widmet sich dem Nekrolog über Tomas Borgmann. Er spürt, wie sein Puls schlägt. Die Gedanken flimmern und huschen ihm durch den Kopf. Es ist, als wäre er mit etwas Verbotenem beschäftigt, fast, als säße er mit einer Art obszöner Literatur im Schoße da, einer pornografischen Zeitschrift, die er in einem Gemeindeblatt eingeschmuggelt hat, oder etwas in der Art. Er begreift selbst nicht, warum. Oder vielleicht tut er es doch. Begreift es nur zu gut. Als Frau Schwimmel, die rothaarige Kellnerin, vorbeikommt, bestellt er sicherheitshalber noch ein Bier, um sich abzukühlen.
    Es gelingt ihm, den Nachruf über seinen Studienkollegen dreimal zu lesen, bevor die Mittagspause vorüber ist.
     
    Tomas Borgmann zur Erinnerung
     
    Die Nachricht von Professor Borgmanns Tod erreicht uns heute, und wir fühlen uns überrumpelt, ein Gefühl, das rasch in Trauer und Verlustempfinden übergeht. Das zwanzigste Jahrhundert hat einen seiner hervorragendsten Philosophen verloren: einen kongenialen Wissenschaftler. Einer der größten Humanisten unserer Zeit weilt nicht mehr unter uns.
    Mehr als zwei Jahrzehnte gehörte Tomas Borgmann der allerobersten Elite der akademischen Welt an und nahm zudem einige der vornehmsten Professorenstühle ein – in Heidelberg, Padua, Oxford, Berkeley. Sein Name war in weiten Kreisen geachtet und respektiert, nicht nur in seinem eigenen Wirkungsbereich.
    Unter seinen zahllosen Schriften müssen auf jeden Fall »A Treatise on Moral Obligation«, »Ontologische Ethik« und »Moralische Archetypologien« erwähnt werden, die alle große Beachtung unter Studenten und Forschern fanden.
    Am berühmtesten wurde Professor Borgmann wohl für seine so genannte Teilhaftigkeitstheorie, in der er so unterschiedliche Standpunkte wie die der Philosophen Platon, Hume und Kohlhausen zu vereinen suchte. Diese Arbeit wird heute sicher mit einer gewissen Skepsis gelesen, genau wie seine frühere Individuelles Handeln – und andere Mythen, aber es war ja gerade eines der Adelszeichen der Borgmannschen Forschung, dass er seine Thesen revidieren konnte. Dass er sich nicht mit hergebrachten, abgesteckten Claims zufrieden gab, sondern ständig auf der Suche nach neuen Brückenköpfen war, die es zu erobern galt, stets bemüht, weiter vor zu rücken.
    Tomas Borgmann ist in K. geboren worden, wohin er sich für seine letzten Jahre auch

Weitere Kostenlose Bücher