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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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nichts. Er muss diesen Tag hinter sich bringen, Tomas Borgmanns Beerdigung beiwohnen, wie viele Anstrengungen es ihn auch kosten mag.
    Und wenn nicht? Dann muss er das nicht Getane ertragen. Und solche Bürden sind schwer, das weiß er nur zu gut. Schwerer als das meiste.
    Er nimmt ein Frühstück zu sich, wenn auch ein mageres, aber immerhin etwas. Macht sich fertig, raucht und schaut aus dem Fenster. Der Regen prasselt herab, auch das Wetter spricht eine deutliche Sprache ... Wie soll er sich verhalten? Wie?
    Er beschließt den Tag aufzuteilen. Ihn in handliche Portionen aufzuteilen und diese in Etappen abzuarbeiten, das hat schon früher funktioniert. Zwei Bier, bevor er sich auf den Weg macht. Für die Nerven und um ein wenig Ordnung hineinzubekommen.
     
     
    Der Anzug sitzt nicht, aber zumindest bekommt er die Hose zu. Er rasiert sich, duscht und steht nun angezogen bereit. Vier Dosen hat er getrunken, ist aber nicht zufrieden. Die Unruhe in seinem Körper schwillt an und will hinaus, so scheint es ihm, er sieht ein, dass er den Nachmittag nicht ohne Hilfe meistern wird. Er sucht seinen Flachmann heraus, den er während der Dezember- und Januarspiele benutzt, füllt ihn mit Cognac, Gott sei Dank hat er noch eine Flasche stehen, und schiebt sie sich in die Innentasche des Mantels.
    Dann macht er sich auf den Weg. Mit diesem sicheren Gewicht auf der Brust tritt Maertens hinaus in den Regen. Spannt den Regenschirm auf und geht zur Haltestelle.
     
     
    Um zu St. Katarina zu kommen, muss er die Zwölf nehmen.
    Die Straßenbahnlinie zwölf. Erst jetzt, erst als er sich hineindrängt, wird ihm klar, dass es die gleiche Linie ist, die auch zum Stadion fährt. Und dass es ein Samstag ist.
    Wie groß doch der Unterschied zwischen Fußball und Beerdigung ist. Überall rotweiß, wie immer. Flaggen und Halstücher und Aufkleber. Und der gute Geruch von frisch getrunkenem Bier, Tabaksrauch und rotwangiger Erwartung. Er krümmt sich zusammen und lauscht den kaputten Achillessehnen, dem nicht funktionierenden Bindegewebe, dem Idioten von einem Schiedsrichter, der Aufstellung drei-fünfzwei, dem Bosmanschiedsspruch, dem Traineridioten und all dem anderen. Hofft innerlich, Bernard und Istvan zu entgehen. Man stärkt sich aus kleinen Flachmännern, genau wie Maertens. So klein ist der Unterschied zwischen Fußball und Begräbnis. Kurz vor dem Stadion kommt er ins Schwanken. Wie einfach wäre es doch, einfach auszusteigen. Wie üblich. Mitzulaufen und sich das Spiel anzusehen, ausnahmsweise im Anzug. So zu tun, als wäre es ein ganz normaler Samstag.
    Und das Ungeschehene weiter in sich zu tragen? Weg damit! Er hält sich am Haltegriff fest und lässt nicht los. Außerdem hat er gar keine Eintrittskarte, und an so einem Tag ist es bestimmt ausverkauft.
     
     
    Nach der Stadionhaltestelle bleibt er fast allein im Wagen zurück. Nur eine heruntergekommene Frau sitzt noch ein Stück entfernt auf der anderen Seite des Ganges. Sie riecht schon von weitem nach Armut, er sieht, dass Zeitungspapier aus ihren Stiefeletten ragt, und sie hat eine Schicht Kleidung über die andere gezogen, sorgfältig übereinander geschichtet. Nur der rostbraune Hut sieht wohlerhalten aus, aber den hat sie in Plastik eingewickelt, damit er vor dem Regen geschützt ist.
    Ich will dich nackt sehen, denkt er plötzlich. Es genügen zwei Sekunden, aber dann sollst du splitterfasernackt sein. Und immer noch vorhanden sein – nicht nur hier sitzen und mit der Straßenbahn fahren, das ist ja wohl keine Kunst! Ja, das würde mich etwas übers Leben lehren.
    Er wundert sich. Warum entstehen derartige Gedanken in seinem Gehirn? Das ist nicht er selbst, der das macht; ein lachender, unglaublich gelangweilter Dämon hockt in seinem Kopf und heckt diese ekligen Gedankenföten aus. Warum gibt es keine Sicherheitssperre gegen so etwas? Was soll er machen, wenn sich das eines Tages einfach geradewegs bis in die Wirklichkeit fortsetzt? Und er dann tatsächlich so eine Frau anspricht und sie bis tief in die Wurzeln ihres Ichs verletzt. Was wird dann geschehen?
    Er schaut in den Regen hinaus und spürt plötzlich eine größere Verzweiflung als je zuvor. Die Fensterscheibe ist genau zur Hälfte durchscheinend, die andere Hälfte spiegelt sein Gesicht. Er sieht sein Bild an, das immer wieder vom Wasser ausgewischt wird, aber sich dennoch die ganze Zeit dort befindet. Holt die Flasche heraus und trinkt einen Schluck. Die alte Frau betrachtet ihn bekümmert. Der Dämon

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