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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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jedenfalls, es in Zukunft etwas vorsichtiger anzugehen.
    Drei Jahre, denkt er. Die haben seit drei Jahren hier gewohnt.
    Ob sie mich wiedererkennt?
     

8
     
    E r erwacht mit einem alten Schrecken im Unterbewusstsein.
    Wie eine Fliege sitzt er im Spinnennetz des Schlafs, groß, fett und wohlbekannt. Es ist eine Episode aus seiner Kindheit, und er hat sie schon häufiger geträumt. Ziemlich häufig.
    Es ist draußen auf dem Land. In der Polderlandschaft auf dem großen Hof der Verwandten. Er ist nur ein kleiner Knirps von fünf oder sechs Jahren.
    Hier gibt es viele Tiere. Tiere ohne Ende, wie seine Mutter immer sagt, wenn sie gut gelaunt ist und etwas übertreiben will. Ihn selbst interessieren weder die Pferde noch die Kühe, nicht die Schweine und Gänse, er hat nur Augen für Ludo.
    Ludo ist ein schwarzbrauner Airedaleterrier, und Leon liebt ihn. Zu dieser Zeit heißt er Leon. Er verfolgt den Hund Tag für Tag, manchmal hat er ihn auch noch des Nachts bei sich im Bett, auch wenn das nicht erlaubt ist und Ludo eigentlich nicht will. Er ist ein Junge mit einem Hund, denkt er, wenn er an sich selbst denken möchte. Dass Ludo nicht wirklich ihm gehört und dass er nur für ein paar Tage zu Besuch ist, ja, das ist irgendwie nicht so wichtig. Nicht, wenn man erst fünf oder sechs ist.
    An diesem besonderen Tag war er mit den Onkeln im Ort Besorgungen machen. Es ist ein windiger Vormittag. Er nimmt an, dass es auf den Herbst zu geht. Als sie mit dem alten Generatorenford auf den Hofplatz einbiegen, ist auch Ludo da, er steht an der Küchentreppe und frisst aus seinem Futternapf. So schnell Leon kann, fast noch bevor sie überhaupt anhalten, springt er aus dem Auto und rennt zu seinem Freund, um ihn zu streicheln und ihm von der Fahrt zu erzählen.
    Da beißt Ludo zu.
    Nein, er beißt nicht, er schnappt nur. Aber ziemlich entschlossen. Er möchte beim Fressen nicht gestört werden. Leon bekommt einen kleinen Riss in der Hand. Ein Tropfen Blut. Und er bekommt Angst. Es tut nicht besonders weh, eigentlich tut es überhaupt nicht weh, aber er bekommt Angst.
    Und schreit in den höchsten Tönen. Seine Mutter kommt herbeigestürzt, und alle anderen auch. Man bringt ihn in die Küche. Beruhigt ihn und macht ihm einen Verband. Bald hat er sich erholt.
    Als er wieder hinauskommt, kann er Ludo nicht finden. Er sucht überall nach ihm. Durchforscht alle Gebäude: den Schuppen, das Wirtschaftsgebäude, das Wohnhaus, wie sie alle heißen, den Keller, den Dachboden ... Er kennt alle Stellen, an denen Ludo sich gern versteckt, er sucht draußen auf den Feldern bis hin zu den Kanälen, er muss ihn doch finden und ihn fragen, warum er das gemacht hat, warum er ihn auf diese Art und Weise erschreckt hat.
    Den ganzen Nachmittag sucht er, aber erst als es Abend wird, bekommt er die Erklärung, wohin der Hund verschwunden ist. Da erzählt Onkel Bart, dass er Ludo erschossen hat.
    Man kann keinen Hund halten, der Menschen beißt, sagt er.
     
     
    Er weiß nicht einmal, ob es sich wirklich so zugetragen hat. Später hat seine Mutter immer eine andere Version erzählt, nach der Ludo nicht so ein jähes Ende fand.
    Aber welche Mutter hätte das nicht gemacht? Im Traum verläuft es jedenfalls so, und er fand immer, dass diese Episode gut als Beweis für die der Welt innewohnende Bosheit dienen kann.
    Ob man nun ein kleiner Knirps oder ein erwachsener Mann ist.
    Oder ein Hund.
     
     
    Vielleicht sollte er es als schlechtes Omen auffassen, dass er in der Nacht vor der Beerdigung von Ludo geträumt hat. Er weiß es nicht. An diesem Morgen ist er schlecht gelaunt, sein Körper ist voller Unruhe und Unwillen ... als stünde er vor einem entscheidenden Unglück. Einem schlecht vorbereiteten Examen oder irgendeiner anderen Prüfung, von der er mit Sicherheit sagen kann, dass er sie nicht bestehen wird. Oder als bleicher, pickliger Teenager mit schlechtem Mundgeruch, der noch eine halbe Stunde hat bis zum Schultanz in Kopp’s Turnsaal, es ist nicht schwer, sich daran zu erinnern. Nein, er will an diesem Tag niemanden sehen, sich keiner Begegnung stellen, keinen Kontakt aufnehmen. Möchte nur in Ruhe gelassen werden, ist das denn zuviel verlangt?
    Natürlich ist es das. Mehr kann man gar nicht fordern. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürt er das Bedürfnis, hinunterzugehen und sich ins Schreibzimmer zu setzen.
     
    Ein blöder, schwachgemuter Schurke, schleiche
Wie Hans der Träumer meiner Sache fremd
     
    Es nützt nichts. Natürlich nützt es

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