Die Fliege Und Die Ewigkeit
wieder zurückzog. Es war gegen Ende der 90er Jahre, als er plötzlich den Entschluss fasste, seine akademische Laufbahn zu beenden. Von diesem Zeitpunkt an lebte er bis zu seinem Tode in größter Abgeschiedenheit zusammen mit seiner Ehefrau Marlene draußen in B-e am Meer.
Neben seiner Gattin wird Tomas Borgmann auch von seinen Töchtern Hilde und Ruth betrauert sowie von Freunden aus der Zeit, als er noch innerhalb der Grenzen unseres Landes tätig war.
Trotz seiner relativ jungen Jahre konnte Tomas Borgmann bereits auf ein akademisches Werk zurückblicken. Es ist schwer zu fassen, dass das jetzt auch von seinem Leben zu sagen ist.
ANDREAS BERGER
Dozent der Philosophie an
der Universität in G.
Maertens faltet die Zeitung zusammen und süffelt die letzten Tropfen Bier.
Draußen in B-e am Meer?, denkt er.
Sie haben hier drei Jahre lang gewohnt.
»The Duchess of Malfi« ist immer noch nicht ins Land der Dämmerung gereist. Sie liegt am Kamin und sieht nicht besonders verändert aus.
»Wir geben ihr so eine Art von Tabletten«, erklärt Gerte. »Das sollen wir zehn Tage lang machen, und wenn es dann nicht besser wird, dann ist es vorbei.«
Maertens bückt sich und streichelt The Duchess über den Rücken und stellt fest, dass tatsächlich ein ziemlich scharfer Geruch von ihr ausgeht. Schwefelartig und leicht Übelkeit erregend.
»Wir haben zwei Tische verrückt. Hier will kein Gast sitzen... nun ja, es gibt zwar keine Hoffnung, aber man will es ja trotzdem nicht glauben ...«
Maertens nickt und versucht mitleidig auszusehen. Lässt sich mit seinen Zeitungen nieder. In zweien steht der gleiche Nachruf, den er bereits gelesen hat; in der dritten hat ein C. P. Thompson über Borgmann geschrieben. Offensichtlich ist das jemand, der ihm während seiner Oxfordzeit nahe gestanden hat. Er legt großen Wert auf den angelsächsischen Einfluss, redet lang und breit über Moore, Russell und MacGaffin. Ansonsten gibt dieser Nekrolog nicht mehr Informationen als der von Andreas Berger. Die vierte und letzte Zeitung ist ein billiges Revolverblatt, sie enthält nur eine kurze Notiz darüber, dass Professor Borgman, geboren und aufgewachsen in K., bekannt aus Funk und Fernsehen, überraschend verstorben ist.
Nicht einmal der Name ist richtig buchstabiert.
Nirgends steht etwas über eine längere oder kürzere Zeit der Krankheit.
Auch die siebte Partie in Folge verliert er. Dieses Mal ist es sizilianisch, aber auch das nützt nichts. Bernard ist zufrieden, er schreibt in sein Buch und erklärt, dass er seit dem letzten Mal einige Theorien gelesen hat und dass sich das jetzt offensichtlich bezahlt macht. Maertens mag ihm nicht widersprechen.
Gerade als er aufstehen will, um nach Hause zu gehen, kommt Istvan mit Karten für das Spiel am Samstag. Maertens lehnt dankend ab. Bernard bleibt sitzen, den Kopf in die Hand gestützt, und sieht plötzlich ernsthaft besorgt aus. »Was ist eigentlich los mit dir?«, fragt er. »Dass du so deine Probleme beim Schach hast, das ist eine Sache, aber dass du das Klassenfinale versäumen willst, das geht über meinen Verstand.«
»Ich muss zu einer Beerdigung«, erklärt Maertens. Er merkt, dass es klingt, als ginge es um seine eigene.
»Ach so«, sagt Bernard nur.
Istvan sieht nicht so aus, als fände er den Grund besonders plausibel. Ganz gleich, um wessen Dahinscheiden es sich nun handelt.
Sein schwarzer Anzug hat dreißig Jahre auf dem Buckel, aber er kann sich nicht daran erinnern, ihn häufiger als drei oder vier Mal getragen zu haben. Als er ihn anprobiert, zeigt sich, dass die Hose zu eng geworden ist. Sie strammt im Schritt, und er bekommt den Knopf nicht zu.
Vorsichtig legt er sie zusammen und schiebt sie in eine Plastiktüte. Hängt sie sicherheitshalber an die Türklinke, damit er sie auch wirklich am nächsten Tag mit zur Änderungsschneiderei nimmt. Hoffentlich ist noch genug Stoff vorhanden, um einen Daumen oder zwei zuzugeben. Die Jacke lässt er durchgehen, wie sie ist. Die muss ich ja nicht zumachen, denkt er.
Dann bügelt er ein weißes Hemd und sucht nach einem dunklen Schlips. Nachdem er diese praktischen Details geregelt hat, setzt er sich an den Küchentisch und raucht eine Zigarette. Das ist zu einer Angewohnheit geworden. Eine immer häufigere Gewohnheit. ... außerdem spürt er, dass er etwas betrunken ist, und versucht auszurechnen, wie viele Biere er im Laufe des Tages konsumiert hat. Aber er muss passen. Beschließt
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