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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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der Küche. Dann setzt er sich erneut an den Tisch.
    Stützt den Kopf in die Hände.
    Was willst du jetzt machen, Maertens?, denkt er.
    Was zum Teufel willst du tun?
    Die Stunde der Konjunktionen?
     

38
     
    D en ganzen Tag wartet er und empfindet das Leben leicht wie eine Feder. In der Dämmerung macht er sich auf. Er geht hinaus, spazieren, und redet sich ein, dass er überhaupt kein Ziel hat. Er kommt an Freddy’s vorbei, geht aber nicht hinein. Stattdessen sucht er mehrere andere Bars auf, die er normalerweise nie betritt und in denen er auf kein einziges bekanntes Gesicht stößt. So muss er kein Wort mit einem Menschen wechseln. Ein paar Minuten nach elf hat er genug. Er lässt ein halbes Glas Pernod auf dem Tisch stehen und zwängt sich hinaus. Der Abend ist warm und feucht, fast wie ein Frühsommerabend. Außerdem sind viele Menschen auf den Straßen unterwegs, schließlich ist es trotz allem nur ein Sonntag im April ... aber vielleicht haben die Kinos gerade ihre Türen nach der letzten Vorstellung geöffnet. Er läuft eine Weile herum, versucht dem Rhythmus der Bürgersteige zu folgen, lässt sich von den Strömen mal hierhin, mal dorthin treiben. Und er redet sich erneut ein, dass er kein Ziel hat. Keine Richtung und keine Absichten.
     
     
    Eine halbe Stunde später ist es leerer geworden. Er befindet sich nicht mehr im Zentrum, er ist über die Brücke des 17. September gegangen und ins Deijkstraaviertel gekommen. Er hat keinerlei Absichten.
    Dann steht er plötzlich vor dem Mietsblock. Steht auf der anderen Straßenseite und schaut zu dem Fenster im vierten Stock hoch. Es ist Licht, aber nicht besonders hell ... Sie hat die Gardinen vorgezogen, hat nur im Flur und im Schlafzimmer Licht an, wie er annimmt.
    Er bleibt eine Weile stehen. Wippt auf den Hacken und Spitzen hin und her, die Hände auf dem Rücken, ungefähr wie der alte Lauremaa, sein Religionslehrer, es zu tun pflegte, wenn er mal wieder auf eine Antwort wartete, von der er wusste, dass sie nie kommen würde ... Er musste inzwischen tot und begraben sein.
    In der Toreinfahrt findet er ein Armierungseisen. Nicht besonders schwer oder lang. Es wiegt höchstens ein halbes Kilo. Fünfunddreißig Zentimeter Länge. Er durchquert das Gewölbe und tritt auf den Hof. Steigt über Blumenbeete auf den Rasen, der sich weich und feucht anfühlt, er versinkt ein wenig mit den Hacken darin. Es ist dunkler hier drinnen, die meisten Fenster sind dunkel, aber bei Birthe ist immer noch Licht ... im Schlafzimmer, genau wie er gedacht hat.
    Die Feuerleiter beginnt oder besser gesagt endet eineinhalb Meter über dem Boden. Er hat gewisse Probleme, sich hochzuziehen, schafft es schließlich aber doch. Ihm fällt ein, dass er diesen Weg schon einmal genommen hat. Einmal ganz am Anfang; vor fünfzehn Jahren oder so, als Birthe die Schlüssel drinnen hatte stecken lassen und sie sich daran erinnerte, dass sie das Badezimmerfenster auf Kipp hatte stehen lassen.
    Vorsichtig klettert er hoch. In jeder Etage gibt es einen Absatz, eine kleine Plattform aus Metallgitter. Nur einen Meter lang und ein paar Dezimeter breit, direkt vor dem Badezimmer gelegen. Offenbar ist das der geplante Fluchtweg bei Feuer oder anderer Gefahr.
    Vierter Stock. Er sinkt auf dem Absatz nieder. Bleibt eine Weile sitzen und holt Luft, während die Beine in der Nacht baumeln.
    Lauscht. Leise Stimmen sind von drinnen zu hören. Sie ist nicht allein. Sie ist mit Pastor Wilmer zusammen, denkt er. Gut. Er umklammert das Armierungseisen.
    Ein paar Minuten bleibt er noch sitzen. Sammelt seine Gedanken und macht einen Plan. Ein schneller Schlag in die Scheibe, dann den Riegel hoch und durchs Fenster hinein, ungefähr so stellt er sich den Ablauf vor. Bevor sie richtig wissen, worum es eigentlich geht.
    Und dann kurzer Prozess und weg.
    Einfach und ohne viel Federlesens. Ein Strich unter die Sache.
    Er kommt auf die Knie und versucht ins Badezimmer hineinzugucken. Der Plastikvorhang ist zur Seite gezogen, und er kann das Waschbecken, das Regal darüber und einen matten Reflex des Spiegels erkennen. Er holt tief Luft und hebt das Armierungseisen. Da wird plötzlich das Licht angemacht, und ein Kerl in Unterhemd und grauer, langer Hose kommt herein.
    Ein bleicher Kerl mit rot gefleckter Haut ist das. Hängende Schultern und schafsartiger Gesichtsausdruck, findet Maertens. Das Haar ist schütter und leblos, die Augen wässrig blau und auseinanderstehend. Ein dünner Schnurrbart verbirgt notdürftig

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