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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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schrien natürlich, sie flogen im Kreis und versuchten sich dem Feuer zu nähern, wurden aber von der Hitze abgestoßen ... sie kehrten in schrägem Bogen zurück, kreisten in weiten Kreisen über dem Meer und setzten zu neuen Ausfällen an. Idiotische Vögel, dachte er.
    Das Gewitter hatte in den frühen Morgenstunden aufgehört, aber die Strandvegetation war immer noch so durchnässt, dass die Flammen nirgends Nahrung fanden. Nur das Haus brannte. Wie eine gigantische Fackel stand es dort am Strand. Ein groteskes Irrlicht in der weichenden Dunkelheit. Nachdem der Wind sich gelegt hatte, bekam das Ganze einen fast klinischen Verlauf. Ein irreversibler, notwendiger Prozess. Innerhalb einer halben Stunde war alles vorbei, schließlich blieb nur noch ein schwelender, qualmender, glühender Haufen zurück ... sechstausend Bücher, dachte er, ein paar Millionen Seiten Schrift, die unwiderruflich und mit einer gewissen langsamen Würde verkohlten. Ein einsames, schwarzes Mauerskelett erhob sich aus der Verwüstung. Allein in einigen Langhölzern, die ein Stück zur Seite gefallen waren, spielten noch die Flammen.
    Die Möwen flogen jetzt näher heran. Sie hackten, zerrten und untersuchten. Wonach suchten sie? Nach Essensresten? Verbrannten Menschen?
    Wie einfach und effektiv ist doch die Zerstörung im Vergleich zum Bau, kam ihm in den Sinn. Welch brutale Schönheit liegt in der Vernichtung.
     
     
    Während einiger Minuten, als das Feuer am heftigsten aufloderte, hatte er sie aus den Augen verloren, doch jetzt stand sie wieder da. Auf der anderen Seite, unten am Strand, die Taschen neben sich.
    Vollkommen unbeweglich stand sie da und schaute das Zerstörte an. Wie eine späte Hestia, dachte er, die Göttin, die den Herd und das Feuer bewacht. Durch die in die Luft steigenden, vibrierenden Hitzewogen sah er sie, und für einen Moment hatte er das Gefühl, sie wäre gar nicht wirklich.
    Dann ergriff sie die Tasche, drehte allem den Rücken zu und machte sich auf den Weg.
    Richtung Süden, den Strand entlang. Weg vom Haus. Weg vom Kirschgarten. Von ihm und allem, was gewesen war. Die Taschen schienen äußerst schwer zu sein. Während er noch dastand und ihr nachschaute, war sie mehrere Male gezwungen, stehen zu bleiben und sie abzusetzen.
    Aber sie schaute sich nicht um. Warf keinen Blick zurück, und als sie für seine Augen nur noch zu etwas Unwesentlichem geschrumpft war, ergriff er seine eigenen Taschen und machte sich auf den Weg Richtung Bahnhof.
     

3. Terra firma (et celesta)
     
     

37
     
    E r betrachtet den kleinen, farblos lackierten Tisch vor seinen Knien.
    Es hätte ein Glas darauf stehen können oder eine Tasse. Ein Apfel hätte dort liegen können oder eine Apfelsine. Aber nichts davon. Er macht keinen Sinn für ihn, dieser Tisch. Er versucht sich darüber zu freuen, dass es ihn hier gibt, doch das geht nicht.
    Er betrachtet die Heidelandschaft, die vor dem Fenster vorbeizieht.
    Auch sie macht keinen Sinn. Dabei hätte sie einen haben sollen.
    Seine Mitreisenden. Eine kräftige Frau mittleren Alters in blauer Windjacke. Ihr kräftiger Sohn.
    Die auch nicht, denkt er.
     
     
    Er lehnt den Kopf gegen den gepolsterten Buckel, der seinen Platz von dem des Nachbarn trennt, wenn er denn einen Nachbarn gehabt hätte.
    Wie heißt so ein Ding eigentlich?, fragt er sich. Hat das überhaupt einen Namen? Vielleicht ist es nur ein vollkommen namenloser Buckel.
    Unter anderen Bedingungen hätte er ihr gegenüber eine tiefe, warme Herzlichkeit empfinden können ... der Kopfstütze, das weiß er. Eine Art innerlicher, funktioneller Befriedigung darüber, wie sinnvoll doch trotz allem alles eingerichtet ist. Hier zu sitzen und seinen müden Kopf anlehnen zu können, genau wie es gedacht ist ... an diese ziemlich weiche Stütze auf diesem ziemlich bequemen Sitz in diesem ziemlich angenehmen Zug ... ausgerechnet für diesen Zeitabschnitt die Summe bilden, Sinn und Krönung des Werkes in einer unendlich langen Kette menschlicher Geschäftigkeit und menschlichen Strebens. Wie viele sind doch in diesen Buckel einbezogen!, denkt er. Ausschreibung und Design, Materialabwägungen und Anfertigung, Auftragseingang und Distribution...
     
    Diese Fläschlein in so vielen Farben, eingekapselte Wohlgerüche und unzählige Abwandlungen der Nagelschere: welche Summe von Genie lag doch schon in einem Friseurladen! Ein Handschuhgeschäft: welche Beziehungen und Erfindungen, ehe eine Ziegenhaut über eine Damenhand gezogen wird und

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