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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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gewollt hätte. Er hasste sie. Alle hassten sie.
    O Rache! Rache!
    Doch wie?
    Er denkt angestrengt nach. Vorbei ist alle Lethargie und Hoffnungslosigkeit. Vorbei ist der Gedankenbuckel. Vielleicht ist das heute doch ein Tag, an dem die Bahnen zusammentreffen? Die Stunde der Konjunktionen? Trotz allem gibt es Zeichen, die darauf hindeuten. Er schöpft schnell Mut, spürt plötzlich, wie die Lebensgeister in der Brust anschwellen, und als der Zug schließlich im Bahnhof von Linden hält, dem letzten Halt vor K., schiebt er das Fenster auf. Er lässt sich hinaushängen und hält auf dem Bahnsteig Ausschau. Entdeckt den Verkäufer mit dem Kasten vor dem Bauch und ruft ihn zu sich ... schafft es gerade noch, zwei dampfende Würstchen entgegenzunehmen, bevor man erneut weiterzuckelt.
    Der Graugelbe wittert sofort und schnüffelt. Er spannt jeden Muskel in seinem rundlichen Körper an und beginnt zu sabbern. Große Speichelblasen drängen sich aus schwarzen Mundwinkeln hervor. Fräulein Messer-Hülpen registriert den Zustand und wickelt die Leine ein weiteres Mal um ihr dünnes Handgelenk. Fällt dann erneut in den Schlummer, das Kinn auf der Brust.
    Diskret und unbemerkt hält er die Würstchen unter den farblos gestrichenen Tisch, bis er die ersten Häuser von K. erkennt. Gahns Möbelfabrik. Den Wasserturm. Das Stadion. Da steht er auf. Es gelingt ihm, mit nur einer Hand sowohl die Reisetasche als auch die Aktentasche auf den Gang hinauszumanövrieren ... dann lässt er die Würstchen fallen, direkt hinter der Tür.
    Der Graugelbe reagiert blitzschnell. Er schießt wie ein abgeschossener Pfeil davon, wird zwar fast erwürgt, als die Leine sich spannt ... schafft es aber dennoch bis zur Beute und packt sie. Die Messer-Hülpen fährt mit einem Krachen zu Boden.
    »Oh!«, ruft der Windjackensohn mit den Polypen. »Ist sie jetzt tot, Mama?«
    Aber die Messer-Hülpen rappelt sich auf und starrt Maertens mit schlecht verborgener Wut hinterher.
    »Leon Delmas!«, schreit sie. »Ich erkenne dich wieder! Du hast dich überhaupt nicht verändert! Du warst schon immer ein übler Spaßvogel, das ist wohl wahr!«
    Aber das hört er fast nicht mehr. Er ist bereits unten auf dem Bahnsteig und geht mit federnden Schritten davon.
    Abrechnen, denkt er. Mit der Vergangenheit abrechnen. Es gibt so viele Möglichkeiten, so unendlich viele. Das Wichtige ist nur, es niemals zu unterlassen.
    Niemals.
     
     
    Die Mitteilung von Birthe liegt ganz oben auf dem Posthaufen, und das ist natürlich etwas merkwürdig. Es muss bedeuten, dass sie sie am Samstag zurückgelassen hat ... dass sie noch einmal hergekommen ist und sie durch den Briefschlitz geschoben hat, obwohl sie bereits im Laufe der Woche hier gewesen ist.
    Ist einzig und allein deshalb hergekommen. Hat sich offenbar erst hinterher entschieden, es zu schreiben.
    Wenn das nicht etwas merkwürdig ist?
    Wo bist du, Maertens?
Ich war Mittwoch hier. Habe die Blumen gegossen und
die Fische gefüttert, es war wohl höchste Zeit.
Ich lasse deinen Schlüssel hier, ich denke, das ist das Beste, du kannst deinen zurückgeben, wenn du Zeit hast.
    Ich habe noch etwas getan, was mir ein bisschen pein-
lich ist, ich habe mir ein Buch von dir geliehen, ohne
dich zu fragen. Ich hoffe, das ist nicht so schlimm.
Pass auf dich auf.
Birthe 
 
    P.S. Mache mir etwas Sorgen um dich. Wenn du planst, länger wegzubleiben, dann könntest du zumindest von dir hören lassen.
     
    Ein Buch geliehen?, denkt er. Wieso das? Was für ein Buch?
    Das PS ist typisch für Birthe. Plötzlich sehnt er sich nach ihr.
     
     
    Er packt aus. Legt die Schmutzwäsche in den Wäschekorb, stopft ein paar saubere Strümpfe und Unterhosen zurück in die Schubladen. Stapelt die Bücher auf den Schreibtisch unten im Keller ... sitzt eine Weile dort und betrachtet sie. Blättert in ihnen, sieht sich die Umschläge an, erinnert sich ... schaut auch in sein Tagebuch, liest jedoch nichts.
    Anschließend geht er hoch in die Küche. Er trinkt eine Tasse Kaffee und isst ein wenig Knäckebrot, etwas anderes ist nicht im Haus. Dann setzt er sich an den Küchentisch und raucht eine Zigarette. Schaut auf die Uhr.
    Es ist zwanzig Minuten vor elf. Es ist Sonntag.
    Sonntag, der achte April.
    Er drückt die Zigarette aus. Leert den Aschenbecher und spült ihn im Waschbecken ab. Öffnet das Fenster einen Spalt, um den Rauch abziehen zu lassen.
    Du bist ein wahrer Teufel, Maertens!
    Ein paar Sekunden lang steht er vollkommen regungslos mitten in

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