Die Flipflop-Bande
vergessen.«
Memoli runzelte die Stirn. »Ja, vielleicht für ein paar Stunden. Aber du kannst dich ja nicht auf immer und ewig verstecken.«
Lotte nickte. »Wenn es dunkel wird, muss ich zu Hause sein. Ich würde gar nicht den Mut aufbringen, einfach wegzubleiben.« Sie riss einen Grashalm ab, spannte ihn zwischen den Daumen und blies damiteinen so schrillen Ton, dass im Baum über ihnen ein Vogelpärchen von den Zweigen flatterte.
Jetzt richtete sich Memoli auf und sah zu den Birken hinüber, deren Zweige vor einem rosablauen Himmel im Wind schwankten.
»Es wird schon bald dunkel, Lotte«, sagte er. »Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?« Im selben Moment schaute er auf seine Armbanduhr und beantwortete sich die Frage selbst. »Auweia!«, rief er. »Es ist schon nach halb neun!«
Lotte erschrak. So spät schon? Wie war denn das passiert? »Wir müssen zurück«, sagte sie. »Das kann ja noch ewig dauern, bis wir wieder in der Stadt sind.«
»Komm, wir laufen ein Stückchen«, schlug Memoli vor, und schon sprang er auf. Doch er blieb unschlüssig stehen. »In welche Richtung eigentlich?«, fragte er.
»Da lang«, sagte Lotte, die neben ihm stand, und zeigte vage in die Richtung, aus der sie vor gut zwei Stunden gekommen waren. Oder war es schon drei Stunden her? Und war es nicht doch eher die andere Richtung gewesen? Lotte knabberte an ihrer Unterlippe. »Mist«, murmelte sie.
Memoli stupste sie an. »Dort müssen wir hin«, sagte er, deutete mit dem Kinn zu einem schmalen Waldweg und marschierte entschlossen los.
Lotte ging ein paar Schritte mit ihm, doch dann hielt sie ihn zurück. »Warte, Memoli«, sagte sie. »Guckmal, da links gibt es genau so einen Weg. Der kommt mir bekannt vor.«
»Stimmt.« Memoli schaute sich um. »Das könnte auch richtig sein.«
»Oder dahinten … Da sieht es auch so ähnlich aus …«
»Was machen wir denn jetzt?« Lotte schluckte.
»Ich weiß nicht. Wir können ja jemanden anrufen.«
Lotte holte ihr Handy aus der Hosentasche und steckte es in der nächsten Sekunde wieder ein. »Das nützt uns ja nichts. Wen sollen wir denn fragen, in welche Richtung wir jetzt müssen? Wenn wir das selbst nicht mal wissen … So ein verdammter Mist!«
»Ich hab eine Idee.«
Memoli bemühte sich, optimistisch zu klingen. »Jeder von uns denkt jetzt ganz doll nach. Und auf eins, zwei, drei zeigen wir beide in eine Richtung. Vielleichtist das dann dieselbe. Und dann gehen wir da lang. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
Eine Minute lang standen sie nebeneinander und schauten stumm in alle Himmelsrichtungen. Lotte versuchte sich zu erinnern. Sie strengte sich wirklich an. Aber es war zu dumm – immer nur kam ihr die Autofahrt mit den Eltern in den Sinn, als sie zum Erdbeerhof fahren wollten. Da hatten sie irgendwann eine falsche Abzweigung genommen und sich verfahren. Dann hatten sich Mama und Papa gegenseitig Vorwürfe gemacht und schließlich so doll gestritten, dass sie wieder nach Hause fuhren. Dabei hatte Lotte sich so auf das Erdbeerpflücken gefreut.
Lotte seufzte und Memoli sah sie an. »Fertig?«, fragte er.
»Fertig«, antwortete Lotte. Sie schloss die Augen. »Eins … zwei … drei.« Ohne zu überlegen, streckte sie den Arm und den Finger aus. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Memolis Finger ganz genau auf dieselbe Stelle zeigte: dorthin, wo der Himmel am hellsten war. Rötlich leuchtete er über den hohen dunklen Tannen, geradeso, als ob dort jemand ein großes Lagerfeuer für sie angezündet hatte. Ein Leuchtfeuer, das ihnen den Weg wies.
Memoli schien ihre Gedanken gelesen zu haben.»Dahinten kann man die Sonne sehen. Das muss Westen sein!«, sagte er bedeutungsvoll.
»Wohnen wir im Westen?«, wollte Lotte wissen.
»Keine Ahnung«, antwortete Memoli.
Da musste Lotte lachen. Dann fasste sie Memoli bei der Hand und sie gingen los. Es würde schon die richtige Richtung sein. Lotte machte sich keine Sorgen mehr. Es war gut, dass sie zu zweit waren. Und ganz besonders gut war es, dass sie sich kein bisschen gestritten hatten, obwohl sie sich verlaufen hatten.
Geräusche im Wald
Lotte hatte völlig das Gefühl dafür verloren, wie lange sie nun schon durch den Wald irrten. Ein halbes Dutzend Mal schon hatte sie sich den Kopf an einem Ast gestoßen und die Arme an spitzen Zweigen geratscht. Die Füße in den dünnen Flipflops taten ihr weh, da sie den Boden nicht mehr richtig erkennen konnten und über Wurzeln und Steine stolperten.
Mittlerweile war es immer
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