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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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rechten und einem sechsstöckigen Nebengebäude mit zwei turmähnlichen Säulen auf der linken Seite. Über dem Hospital hängt eine tiefschwarze, riesige Wolke. Sie verdeckt die ganze Herbstsonne.“
    „Wie wird Dir in der Klinik geholfen?“
    „Ein Arzt will mir helfen. Er gibt mir eine Injektion. Leider jedoch greift er zur falschen Spritze, weil er morphiumsüchtig ist. Als er die Flüssigkeit in meine Vene drückt, wird mein ganzer Körper eiskalt. Plötzlich dreht sich alles im Behandlungszimmer. Das Allerletzte, das ich sehe, ist das Spiegelbild des erschrockenen Arztes im Fenster – und wie er die Hände vor seinen Mund schlägt. Mein lebloser Körper fällt zu Boden.“
    „Du wurdest getötet“, sagte der Singsang. „Oder erwachst Du noch einmal?“
    „Nein“, antwortete das Ich. „Plötzlich schwebe ich oben. Jetzt ist mir alles egal. Ich bin vor ein paar Sekunden gestorben… Jetzt existieren weder Zeit noch Raum.“
    „Siehst Du Deine tote Mutter oder Deine kindliche Frau? Holt Dich irgendjemand ab?“
    „Ja“, sagte das Ich. „Aus der Ferne schwebt etwas auf mich zu. Je näher es mir kommt, desto schärfer werden seine Konturen. Es ist ein Wesen mit einem kindlichen Körper, ein Mix aus Kind und Mann um die 50. Mein Gott! Das ist der Kindgreis! Das ist Hans!“
    „Dein Seelenführer“, sagte der Singsang.
    „Ja, doch er sieht anders aus! Er ist noch nicht so alt wie heute. Sein Haar ist voll, seine Wangen sind ganz frisch. Den Zenit seiner körperlichen Manifestation hat er gerade erst überschritten… Jetzt ergreift er meine Hand – und wir verschwinden in einem Nichts, das zugleich ein Alles ist.“
    „Warum war er damals jünger, weshalb ist er heute ein Greis?“, fragte die fremde Stimme neugierig.
    „Weil meine Seele fast fertig ist“, antwortete das Ich. „So, wie Hans altert und sich sein Körper gleichzeitig immer mehr verjüngt, werde ich immer perfekter. Nun warten nicht mehr sehr viele Leben auf mich. Wenn sie vergangen sind, wird mein Seelenführer seine Aufgabe mit mir erledigt haben… und ich werde vielleicht beginnen, selbst ein Schutzengel zu werden…“
    „Du darfst jetzt allmählich erwachen“, sagte der Singsang. „Lass Dir dabei alle Zeit der Welt. Spüre die Wärme in Deinen Armen, fühle Dein schlagendes Herz… Du fühlst Dich wieder in Deinem heutigen Körper in der heutigen Zeit an diesem Ort – und schlägst dann wieder die Augen auf.“
    Plötzlich merkte Minnie, dass ihre Glieder kribbelten. Sie nahm die schwarze Augenmaske ab und spürte ihre eiskalten Füße. „Ich friere. Mir ist entsetzlich kalt.“
    Die alte Dame blickte aus dem Fenster. Der frühe Abend lag über Haus Holle, draußen war es längst dunkel geworden. Irgendwo sangen ein paar Kinder.
    „Warum ist es draußen dunkel?“, fragte Minnie erstaunt. „Wir haben doch gerade erst angefangen.“
    Frau Demarmels lächelte.
    „Da irrst Du Dich, liebe Minnie. Die Sitzung dauerte extrem lange. Du warst vier Stunden in tiefer Trance.“
    Ursula stellte das Diktiergerät aus.
    „Ich habe alles für Dich aufgenommen. Du kannst es Dir später anhören. Weißt Du noch, was Du mir alles erzählt hast?“
    „Jedes Detail“, sagte Minnie. „Ich war eine traurige Existenz – vom Schicksal geschlagen und doch hochbegabt. Ein außergewöhnlicher Mensch in einer tristen, schweren Zeit. Umgeben von Menschen, die mir nicht gut taten.“
    „Warum wurde ausgerechnet diese Schublade aus dem Schrank des Seins geöffnet? Was ist die Essenz des Vorlebens?“
    „Nun weiß ich, dass die Liebe unsterblich ist. Die Augen meiner kindlichen Frau waren die gleichen wie die meines Marius. Ich habe verstanden, dass wir uns in jedem Leben suchen und finden – egal, unter welchen Umständen. Und sei es auf den letzten Metern! Das ist die wahre, unendliche Geschichte. Sie gibt mir viel Sicherheit, und sie macht mich unendlich glücklich.“
    Frau Demarmels sah der alten Dame ernst in die Augen.
    „Aber hast Du auch eine Idee, warum Du ausgerechnet die äußerlich farblose und innen doch so dunkle Schublade aus dem Schrank des Seins gezogen hast?“
    „Ich weiß es sogar ganz genau“, antwortete Minnie. „Es geht um das, was wir in Spiegeln sehen. Die Reflektion der Wirklichkeit. Ich habe dieses Vorleben ausgewählt, weil es mich auf etwas hinweisen will.“
    „Was könnte das sein?“
    „Darüber muss ich genauer nachdenken. Ich weiß nur, dass es um Spiegel geht – und dass es mir gelingen muss, hinter

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