Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Sedierung . Wir werden uns darüber austauschen, wie wir diejenigen Gäste über die Tiefschlaf-Spritze aufklären können, für die sie in Frage kommt. Und dass sie nur verabreicht wird, wenn die ausdrückliche Zustimmung des Gastes vorliegt.“
„Wird das bei Cristiano nötig werden?“, fragte Hendrik.
„Nicht auszuschließen“, antwortete Dr. Coppelius. „Wenn die Schmerzen zu stark werden, möchte ich Cristiano anbieten, dass er eine Schlafspritze bekommen kann. Natürlich wird er dadurch nicht sterben. Aber er wird nicht mehr leiden. Außerdem sollten wir bald über den nächsten Workshop abstimmen: Zur Wahl stehen die Themen Ekel oder familiäre Konflikte am Krankenbett .“
„Ich bin für Ekel“, plädierte Bruno. „Allein schon wegen Cristiano. Sein Tumor hat den Nacken durchbrochen. Er stinkt bestialisch. Ich muss ihn täglich reinigen. Wenn sich Christiano nicht bald entscheidet, unsere Hilfe anzunehmen, wird er schmerzvoll sterben.“
„Lasst uns das am Monatsende entscheiden“, schlug der dünne Dietmar vor. „Vielleicht ist die Situation bis dahin vollkommen anders.“
Falk Berger schloss sich seiner Meinung an und fragte nach dem nächsten Gast. „Wie geht es Sonja Merkel?“
„Unsere Kleine baut stark ab“, erzählte Bruno. „Sonja bringt nur noch 40 Kilogramm auf die Waage, kann kaum noch rauchen und kommt immer seltener runter. Mittlerweile schaut sie den ganzen Tag Viva .“
„Sonja hat keine psychischen Probleme“, ergänzte Andreas. „Doch wir müssen ihrer Mutter erklären, dass sie nicht vorm Haus parken darf. Neulich hat sie Herrn Knopinski eingeparkt.“
„Wie geht es dem alten Ehepaar?“, fragte der Hospizleiter.
„In Zimmer 2 gibt es keine Veränderungen“, sagte Dr. Aracelis, während ihre Finger durch die Patientenakte der über 90-Jährigen wanderten. „Die alte Dame ist absolut schmerzfrei.“
„Außerdem hat Gertrud Knopinski einen gesegneten Appetit“, ergänzte Dr. Coppelius. „Aber das Loch in ihrem Bauch eitert immer noch. Werden die allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf MRSA streng eingehalten?“
„Klar“, sagte Bruno. „Hat sich der Verdacht bestätigt?“
„Nein“, entgegnete Dr. Coppelius. „Aber ich tippe darauf, dass Gertrud Knopinskis Wunde von multiresistenten Krankenhauskeimen besiedelt sein könnte.“
„Wie macht sich ihr Mann?“
„Heute hat ihn noch niemand gesehen. Laut Frau Knopinski liegt er den ganzen Tag im Bett, und will nicht gestört werden. Angeblich fühlt er sich schlecht.“
„Benimmt er sich inzwischen besser?“
„Keineswegs“, sagte der dicke Dietmar. „Gegen Annette und Angie hetzt er, weil sie lesbisch sind. Bella Schiffer macht er blöde an. Und Omi zieht er mit ihren Perücken auf. Kürzlich hat er Frau Krause gefragt, wie sie ohne Haare aussähe.“
„Insofern ist es gut, dass er sich heute selbst aus der Schusslinie genommen hat und in seinem Zimmer schläft“, meinte Andreas. „Fahren die uralten Herrschaften eigentlich immer noch aufs Land, um Dinge von zuhause zu holen? Falls ja, müssen wir Frau Knopinski begreiflich machen, dass sie sich unter dem Einfluss von Morphium nicht mehr ans Steuer setzen darf. Erst recht nicht für eine fünfstündige Heimfahrt.“
„Und jetzt zu unserem Problemfall…“ Falk Bergers Stimme wurde sehr ernst.
Minnie lief ein Schauer über den Rücken. Würde nun ihr Name fallen? Nein, es kam anders.
„Wie geht es Nadine Nisse?“, fragte der Hospizleiter.
„ Sehr gut“, antwortete Ulrike. „Seit dem Pressebericht über Die kleine Fee und ihre todkranke Mutter wurden täglich Blumen und Geschenke geschickt. Außerdem haben immer mehr Leute angerufen, die wissen wollten, was mit Fee passiert, wenn Nadine verschieden sein wird. Deshalb haben wir das Telefon auf Nadines Wunsch mit einer Geheimnummer ausgestattet. Die beiden brauchen dringend Ruhe.“
„Was wird mit der Kleinen geschehen, nachdem ihre Mutter gestorben ist?“, erkundigte sich Falk Berger. „Fee hängt schließlich sehr an Frau Nisse!“
„Nadine hat sich von ihrer Schwester versprechen lassen, dass sie Fee nach ihrem Tod bei sich aufnimmt. Sie wird sogar ein Pony bekommen.“
„Und die Drogen?“
„Kürzlich hat Nadine mal einen Joint geraucht“, verriet Bruno. „Aber wir filzen jeden Besucher, damit niemand Heroin ins Haus schmuggelt.“
„Marihuana dürfen wir auch nicht dulden“, warf der dünne Dietmar ein.
Dr. Coppelius schien die Hände zu heben. „Sie hat es
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