Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
ganzen Tag unter Atembeschwerden, und wir mussten seine Panik reduzieren.“
„Aber gleich 14 Tabletten?“
„Zuletzt klingelte seine Frau jede halbe Stunde“, sagte Bruno. „Gut möglich, dass wir nicht alle verbrauchten Pillen aufgeschrieben habe. Es war einfach zu viel los.“
Skeptisch schüttelte Dietmar den Kopf. „Wir ordnen sie einfach Zimmer 12 zu. Sonst wundert sich noch jemand über das Verschwinden. Aber dieser kleine Trick bleibt unter uns… Versprochen?“
Bruno schlug ein. Er wollte nur noch nach Hause.
Die Kollegen der Nachtschicht einigten sich darauf, dass Hendrik den ersten Stock übernehmen sollte, während sich der dicke Dietmar um die Bewohner in der oberen Etage kümmerte.
Die Idee ging gründlich in die Hose.
Bereits um 21 Uhr – zwei Stunden nach dem Schichtbeginn – brach im Haus die Hölle los. Das war nichts Ungewöhnliches, aber in dieser Nacht läuteten die Gäste von Haus Holle auffällig oft.
Anscheinend lag etwas in der Luft.
Um 21 Uhr glaubte Hendrik noch, dass alles so sein würde wie immer. Sobald den Bewohnern die Alltagsgeräusche fehlten, waren viele auf sich selbst zurückgeworfen und lagen grübelnd in ihren Betten. Er vermutete, dass später Ruhe einkehren würde. Andererseits ließen sich in den Nachtstunden die besten Gespräche mit Gästen führen, die immer noch nicht schlafen konnten. Nachts saß Hendrik oft an den Betten, rauchte Zigaretten mit den Bewohnern oder hörte sich wahlweise die Lebenserinnerungen an die Studentenrevolution, den Alltag in der Weimarer Republik oder das letzte Pink -Konzert an.
In der Nacht vom 2. auf den 3. November jedoch würde er keine einzige Sekunde für Erinnerungen an die gute alte Zeit haben. Das Drama begann um 21.15 Uhr, als Adolf Montrésor zum ersten Mal auf seinen Alarmknopf drückte.
„Gibt es heute kein Abendessen?“, fragte der Ex-Manager und zündete sich eine Rot-Händle an.
„Soweit ich weiß, haben Sie heute Abend bereits gegessen“, antwortete Hendrik.
„Vollkommer Blödsinn! Ich möchte umgehend ein Brot! Aber dick belegt! Mit Pferdewurst!“
Also spazierte Hendrik in die Küche. Kaum war er dort angekommen, hatte Adolf den Alarmknopf schon wieder betätigt. Umgehend hetzte der Pfleger zurück.
„Das war nur ein Probealarm“, empfing ihn Montrésor mürrisch. „Ich wollte bloß sehen, ob Sie noch da sind. Wo bleibt mein Essen?“
Hendrik ging zurück in die Küche.
Als er Adolf das zweite Nachtmahl servierte, verweigerte Montrésor die Brote. „Ich habe bereits sehr gut zu Abend gespeist“, herrschte er den Pfleger an. „Aber ich möchte Musik hören. Legen Sie mal eine CD ein!“
Seufzend griff der Pfleger nach einer Schlager-Compilation. Er hörte, dass sich Bella Schiffers Mann im Nebenzimmer verabschiedete.
Zwei Minuten später rief die Schönheitskönigin nach ihm. „Jetzt fühlt sie sich wahrscheinlich einsam“, dachte Hendrik, und stellte sich innerlich auf ein langes Gespräch über Miss-Wahlen ein. Bella jedoch bat den Pfleger um etwas anderes. Sie saß auf dem Bett, zog sich die Lippen nach und sah ihn mit unbewegter Miene an.
„Heute Nacht möchte ich endlich mal durchschlafen“, erklärte die attraktive Frau. „Bitte stören Sie mich nicht. Sie brauchen auch nicht herein zu kommen. In den letzten Nächten habe ich unglaublich schlecht geschlafen, weil die Matratze so hart ist. Inzwischen schmerzt mein ganzer Rücken. Deshalb nehme ich nun eine Schlaftablette, und möchte auf keinen Fall geweckt werden.“
Der Pfleger nickte.
Er sah, dass ein rotes Abendkleid über dem Stuhl hing. Bella lenkte seine Aufmerksamkeit sofort zurück auf ihre Person. „Schauen Sie mal, wie aufgebläht mein Bauch ist. Kommt das etwa vom Morphium?“
Hendrik bot ihr eine Abführtablette an, doch die Schönheitskönigin lehnte gähnend ab. „Ich bin wirklich zu müde…“
Also verabschiedete sich Hendrik. Kaum stand er auf dem Flur, piepte es erneut, und er wurde wieder ins Nebenzimmer zu Montrésor gerufen. Diesmal schmerzte das Auge des Gastes. „Schauen Sie mal, wie stark das anschwillt! Außerdem bin ich seit Stunden allein. Ist niemand mehr im Haus?“
Geduldig erklärte Hendrik dem Ex-Manager, dass er die Nachtschicht mit einem Kollegen leistete. Er nahm Adolfs Auge genau unter die Lupe. Tatsächlich quoll die Pupille hervor. „Ich lege Ihnen gleich einen Uhrglasverband an“, versprach Hendrik. Der Pfleger verließ das Zimmer und eilte in den zweiten Stock.
Dort saß der
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